296
Interpretation der Ausbildung des Begriffs der κίνησις

1. Ἐντελέχεια: »Gegenwart, Gegenwärtigsein eines Seienden als Ende« im Sinne des letzten Punktes, das fertig ist, das sich in sich selbst in seinem »Ende« hat — τέλος als Charakter des Daseins, das Fertigsein ausmachend; ἐντελέχεια: das, was sich in seinem Fertigsein hält, was im eigentlichen Sinne da ist.

2. Ἐνέργεια, dagegen συντείνει πρὸς τὴν ἐντελέχειαν, »spannt sich aus zum Ende« — auch ein Charakter des Daseins, aber so, daß er das Seiende in seinem Dasein in der Weise bestimmt, daß es nicht in seinem Fertigsein da ist; ἐνέργεια: der Seinscharakter des im Fertigwerden Begriffenseins. Im Herstellen Hergestelltwordensein ist eine bestimmte Weise des Daseins — nur wenn man das sieht, ist es möglich zu sehen, was Bewegung ist: das Dasein eines Seienden, das ist in seinem Fertigwerden, aber noch nicht fertig ist. Ἐνέργεια ist die κίνησις, aber nicht ἐντελέχεια. Κίνησις ist eine Weise des Daseins, ausgelegt auf ἐνέργεια.

Der Ausdruck ἐντελέχεια läßt sich zerlegen in ἐντελές und ἔχειν (entsprechend νουνέχεια, νουνεχής, νοῦν ἔχειν). Ἐντελὲς ἔχειν — Stammauslaut -ες ausgefallen: ἐντελ(ες)έχεια. Das Eigentümliche ist, daß der Stammauslaut weggefallen ist. Diels hat hingewiesen auf eine analoge Wortbedeutung: ἐντελόμισθος, bei Demosthenes, »den vollen Sold bekommend« — ἐντελέχεια als »Besitz der Vollkommenheit« übersetzt.28

Es kommt darauf an, die Bedeutung des Ausdrucks in den Zusammenhang zurückzunehmen, in dem er fungiert: Aufklärung des Seienden hinsichtlich seines Seins. Ἐντελέχεια die Weise des Da-seins als Sich-im-Fertigsein-Halten. Ἐντελέχεια μόνον: Was nur im Fertigsein sich hält, das ist ein solches, was jede δύναμις ausschließt, ein solches fertig Daseiendes, das immer schon fertig ist, was nie erst hergestellt wurde, was nie nicht wäre, sondern schlechthin gegenwärtig ist. Was die Möglichkeit ausschließt, einmal nicht gewesen zu sein, schließt auch die Möglichkeit aus, einmal zu vergehen. Die Gegenwart eines so Seienden ist nicht ausgedacht, sondern gesehen an der Bewegung des Himmels, allerdings


28 H. Diels, Etymologica. In: Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung 47 (1916), S. 193-210, hier 203.

GA 18