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§ 3. Erste Charakteristik der ἀλήθεια

Die Unverborgenheit ist eine Bestimmung des Seienden, sofern es begegnet. Die ἀλήθεια gehört nicht in dem Sinne zum Sein, als könnte es nicht sein ohne die Unverborgenheit. Denn die Natur ist vorhanden, auch bevor sie entdeckt wird. Die ἀλήθεια ist ein eigentümlicher Seinscharakter des Seienden, sofern das Seiende in einem Verhältnis steht zu einem Hinsehen darauf, zu einem sich im Seienden umsehenden Erschließen, zu einem Erkennen. Andererseits ist das ἀληθές doch auch im ὄν und ein Charakter des Seins selbst, und zwar insofern, als Sein = Anwesenheit und diese im λόγος angeeignet, in ihm »ist«. [12] Das Erschließen aber, im Verhältnis wozu die ἀλήθεια ist, ist selbst ein Sein, nicht zwar des Seienden, das zunächst erschlossen wird, der Welt, sondern eine Seinsweise des Seienden, das wir als menschliches Dasein bezeichnen. Sofern das Erschließen und Erkennen für die Griechen die ἀλήθεια zum Ziel hat, besagt es für sie gemäß dem, was es leistet, der ἀλήθεια: ἀληθεύειν. Wir wollen dies nicht übersetzen. ἀληθεύειν meint: aufdeckendsein, die Welt aus der Verschlossenheit und Verdecktheit herausnehmen. Und das ist eine Seinsweise des menschlichen Daseins.

Diese zeigt sich zunächst im Sprechen, im Miteinanderreden, im λέγειν.


b) ἀλήθεια und Sprache (λόγος).
Die ἀλήθεια als Seinsweise des Menschen (ζῷον λόγον ἔχον) bzw. als Weise des Lebens (ψυχή)


Das ἀληθεύειν zeigt sich also zunächst im λέγειν. Das λέγειν, Sprechen, ist die Grundverfassung des menschlichen Daseins. Im Sprechen spricht es sich aus, in der Weise, daß es über etwas, über die Welt, spricht. Dieses λέγειν war für die Griechen etwas so Aufdringliches und Alltägliches, daß sie mit Bezug auf dieses Phänomen und von ihm her die Definition des Menschen gewannen und ihn bestimmten als ζῷον λόγον ἔχον. Zusammen mit dieser Definition geht die des Menschen als desjenigen


Martin Heidegger (GA 19) Platon Sophistes