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§ 4. Die Bedeutung des ἀληθεύειν bei Aristoteles

des Daseins, das sein Sein in der Seele hat: ἀληθεύει ἡ ψυχή. Nun ist die nächste Art des Aufdeckens das Sprechen über die Dinge, d.h. die Bestimmung des Lebens, die man als λόγος fassen kann, übernimmt primär die Funktion des ἀληθεύειν. ἀληθεύει ὁ λόγος, .und zwar der λόγος qua λέγειν.'Sofern nun jeder λόγος ein Sich-Aussprechen, ein Mitteilen ist, bekommt der λόγος zugleich den Sinn des λεγόμενον. λόγος besagt also einmal Sprechen, λέγειν, dann aber auch das Ausgesprochene, λεγόμενον. Und sofern der λόγος es ist, der ἀληθεύει, ist der λόγος qua λεγόμενον ἀληθής. Streng genommen ist er es aber nicht. Sofern jedoch das Sprechen ein Ausgesprochensein ist, im Satz eine eigene Existenz gewinnt, so daß in ihm eine Erkenntnis aufbewahrt ist, kann auch der λόγος qua λεγόμενον als ἀληθής bezeichnet werden. Gerade dieser λόγος qua λεγόμενον ist die Weise, in der die Wahrheit zunächst da ist. [18] Im nächsten Miteinandersprechen hält man sich an das Gesprochene, im Hören des Gesprochenen wird nicht notwendig und jeweils die eigentliche Erkenntnis vollzogen, so daß ich, wenn ich einen Satz verstehe, ihn nicht notwendig in jedem seiner Schritte nachsprechen muß. Vor einigen Tagen hat es geregnet, kann ich sagen, ohne mir den Regen usw. zu vergegenwärtigen. Sätze kann ich hersagen und verstehen, ohne ein ursprüngliches Verhältnis zu dem Seienden, über das ich spreche, zu haben. In dieser eigentümlichen Verwaschenheit werden alle Sätze nachgesprochen und dabei verstanden. Die Sätze kommen zu einem eigentümlichen Dasein; man richtet sich nach ihnen, sie werden Richtigkeiten, sogenannte Wahrheiten, ohne daß die ursprüngliche Funktion des ἀληθεύειν durchgeführt wäre. Man macht die Sätze mit, mit den Anderen, spricht sie nach auf Treu und Glauben. So gewinnt das λέγειν eine eigentümliche Freiständigkeit gegenüber den πράγματα. Man hält sich im Gerede. Wie man so über die Dinge spricht, das hat eine eigentümliche Verbindlichkeit, daran hält man sich, sofern man sich überhaupt in der Welt orientieren will und nicht selbst alles ursprünglich aneignen kann.

GA 19

Martin Heidegger (GA 19) Platon Sophistes