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§ 4. Die Bedeutung des ἀληθεύειν bei Aristoteles

[19] Diese Geschichte des Wahrheitsbegriffs ist nicht zufällig, sondern sie gründet im Dasein selbst, sofern es sich in der nächst alltäglichen Art zu erkennen, im λόγος, bewegt und im Verfallen an Welt an das λεγόμενον verfällt. Indem der λόγος so zum bloßen λεγόμενον wird, wird nicht mehr verstanden, daß in ihm selbst und seiner Seinsart das »Problem« steckt. Man hätte aber gerade von Aristoteles und Plato lernen können, daß dieser ausgesprochene λόγος der veräußerlichte ist. Genauer auf diese charakteristische Verfallsgeschichte der Wahrheit einzugehen, ist hier nicht die Gelegenheit.

Halten wir das Folgende fest ἀληθές ist das πρᾶγμα; das ἀληθεύειν ist eine Seinsbestimmung des Lebens; es wird insbesondere dem λόγος zugesprochen; Aristoteles unterscheidet primär die genannten fünf Weisen des ἀληθεύειν; er unterscheidet sie im Hinblick auf das λέγειν; sie sind μετὰ λόγου. Das μετά meint nicht, daß das Sprechen für die Weisen des ἀληθεύειν ein beliebiger Annex ist, sondern das μετὰ — das zu τὸ μέσον, die Mitte, gehört — meint, daß in ihnen selbst, mitten drin, das λέγειν ist. Das Erkennen und Betrachten ist immer ein Sprechen, ob verlautbart oder nicht. Alles aufschließende Verhalten, nicht nur das alltägliche Sich-Orientieren, sondern auch das wissenschaftliche Erkennen, vollzieht sich im Sprechen. Das λέγειν übernimmt primär die Funktion des ἀληθεύειν. Dieses λέγειν ist für die Griechen die Grundbestimmung des Menschen: ζῷον λόγον ἔχον. Und so gewinnt Aristoteles auch im Anschluß an diese Bestimmung des Menschen, im Felde des λόγον ἔχον und im Hinblick auf dieses, die erste Gliederung der fünf Weisen des ἀληθεύειν.

GA 19