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§ & Die Analyse der φρόνησις

der πρᾶξις2, so daß sich das Überlegen dem Worumwillen des Handelns anmißt. Die φρόνησις ist also selbst zwar ein ἀληθεύειν, aber nicht ein eigenständiges, sondern ein ἀληθεύειν im Dienste der πρᾶξις; sie ist ein ἀληθεύειν, das eine Handlung in sich durchsichtig macht. Sofern die Durchsichtigkeit einer πρᾶξις für diese konstitutiv ist, ist die φρόνησις mit konstitutiv für den eigentlichen Vollzug des Handelns selbst. Die φρόνησις ist ein ἀληθεύειν, aber, wie gesagt, nicht ein eigenständiges, sondern als Führung der Handlung.

So kann Aristoteles daran denken, sie gegen die beiden anderen Weisen des ἀληθεύειν, gegen τέχνη und ἐπιστήμη, abzugrenzen.


c) Die Abgrenzung der φρόνησις gegen τέχνη und ἐπιστήμη. Die φρόνησις als ἀρετή. Die φρόνησις als »un-vergeßliches« Gewissen. — Die σοφία als ἀρετή τέχνης


Die Abgrenzung findet zunächst gegen die τέχνη statt. Da nämlich die φρόνησις genau so wie die τέχνη sich auf ein Seiendes richtet, das auch anders sein kann, die τέχνη aber das ἔργον nicht hat, die φρόνησης dagegen wohl, könnte man vermuten, daß die φρόνησις die ἀρετή der τέχνη wäre. Der Seinscharakter der ἀρετή ist die τελείωσις, sie macht das Fertigsein von etwas aus, sie bringt etwas zur Vollendung, und zwar das, was die Möglichkeit dazu hat, d.h. auch ohne sie sein kann. Die Frage ist also, ob die φρόνησις die τελείωσις der τέχνη sein kann, ἀλλὰ μὴν τέχνης μὲν ἔστιν ἀρετή, φρονήσεως δ᾽ οὐκ ἔστιν (b21 sq). »Aber fürwahr, für die τέχνη gibt es eine ἀρετή, eine mögliche τελείωσις, für die φρόνησις aber nicht«; für die φρόνησις gibt es keine τελείωσις. Wie ist es zu verstehen, daß für die τέχνη eine ἀρετή möglich ist? In einem überlegenden Sich-Auskennen gibt es verschiedene Grade der Ausbildung. Die τέχνη kann vor- und


2 Vgl. Eth. Nic. VI, 2; 1139a2 sqq.

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