ZWEITES KAPITEL


Die Genesis der σοφία innerhalb des natürlichen
Daseins der Griechen (αἴσθησις, ἐμπειρία, τέχνη, ἐπιστήμη, σοφία) (Met.I, 1-2)



§10. Einführende Charakteristik der Untersuchung.
Ihr Leitfaden: das Sich-Aussprechen des Daseins selbst
Ihr Gang die fünf Stufen des
εἰδέναι. Ihr Ziel die σοφία als μάλιστα ἀληθεύειν


Das 1. Buch der »Metaphysik« soll jung sein. Es wird aber darin schon die »Ethik« erwähnt1, die nachgewiesenermaßen spät ist; damit wäre diese Annahme widerlegt. Die Zitation kann aber auch eingeschoben sein. Ich halte eine Chronologie der aristotelischen Schriften für ausgeschlossen. Werner Jaeger nennt Met.I eine großzügige »Improvisation«2. I, 3, 983a33 enthalte eine Berufung auf die »Physik«; hier (Met. I,3) sei die αἰτία-Lehre klar herausgearbeitet3; darum solle die »unbequeme Berufung« (Met. I, 1; 981b25) auf die "Ηθικά heraus. In Wahrheit aber ist das kein Grund; und dies umso weniger, als da grundsätzlich nichts anderes gesagt ist. Bedenkt man die Konfusion, in der noch die fundamentalen Begriffe τέχνη, ἐπιστήμη, σοφία, φρόνησις sowie ihre Beziehungen bei Plato liegen, und vergleicht man sie mit der durchsichtig überlegenen Darstellung des Aristoteles in Met.I, 1, 2, dann wird man nicht



1 Met. 1, 1; 981b25 sq.

2 W. Jaeger, Aristoteles. Grundlegung einer Geschichte seiner Entwicklung. Berlin 1923. 2. Aufl. Berlin 1955, S. 17a

3 Met. I, 3; 983a24sq.


Martin Heidegger (GA 19) Platon Sophistes