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Die Genesis der σοφία im natürlichen Dasein

3. τὸν ἀκριβέστερον καὶ τὸν διδασκαλικώτερον τῶν αἰτιῶν σοφώτερον εἶναι περὶ πᾶσαν ἐπιστήμην (a12 sqq). Der σοφός ist in jeder »Wissenschaft« und τέχνη »gründlicher«, er kommt den Sachen mehr auf den Grund; deshalb hat er eher die Möglichkeit zu lehren, beizubringen; er kann die Sachen besser klarmachen, kann eigentlicher darüber Aufschluß geben, wie sich die Sache verhält, und dies, weil er sie nicht im nächsten Aspekt sieht, sondern in ihrem eigentlichen Woher und Warum.

4. τῶν ἐπιστημῶν δὲ τὴν αὑτῆς ἕνεκεν καὶ τοῦ εἰδέναι χάριν αἱρετὴν οὖσαν μᾶλλον εἶναι σοφίαν ἢ τὴν τῶν ἀποβαινόντων ἕνεκεν (a14 sqq). Die σοφία ist eine solche ἐπιστήμη, die schlechthin um ihrer selbst willen vollzogen wird, d.h. in ihr wird das Aufdecken dessen, was aufgedeckt wird, lediglich um seiner selbst willen vollzogen, nicht aber in der Absicht auf das, was möglicherweise dabei herausspringt, in Absicht auf seine praktische Verwendbarkeit. Die σοφία ist die ἐπιστήμη, die nur durch die reine Tendenz auf das Sehen bestimmt ist, die lediglich τοῦ εἰδέναι χάριν, um zu sehen und sehend zu wissen, geschieht und die als solche führt, leitet, vorzeichnet.

Diese vier Momente, in denen das alltägliche Dasein sich ausspricht über das, was es vom σοφός und von der σοφία hält, spricht Aristoteles nun im einzelnen durch. — Vorausgreifend sei gesagt: In allen vier Momenten steht ein Aufdecken im Blick, das auf die ersten Ausgänge des Seienden rein als solche geht. Das heißt umgekehrt, daß diese Idee der σοφία, die auf die αίτια als solche, und zwar auf τὰ ἐξ ἀρχής, d. h. auf die ἀρχαί geht, ausdrücklich macht, was das Dasein unausdrücklich, ihm selbst noch ungeklärt, anstrebt.

1. Inwiefern versteht der σοφός »Alles«? τὸ μὲν πάντα ἐπίστασθαι τῷ μάλιστα ἔχοντι τὴν καθόλου ἐπιστήμην ἀναγκαῖον ὑπάρχειν (a21 sq). Der σοφός weiß »Alles«, weil er am meisten verfügt über das Aufdecken des »Überhaupt«. Weil die σοφία ein εἰδέναι καθόλου ist, deshalb versteht der σοφός notwendig πάντα. Zu beachten ist dies: das nächste Verstehen sieht das Ganze als Gesamtheit, und daher ist ihm jenes Verstehen von »Allem« umso rätselhafter, da ihm die Kenntnis des Einzelnen als »Ganzen« fehlt.

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