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Die Genesis der σο ία im natürlichen Dasein

verrät in solchem Bemühen, daß er vor der άγνοια, der Unwissenheit, der Verdecktheit, flieht und das έπΐστασθαι, das Wissen, das Aufgedeckt-Dahaben des Seienden verfolgt. So kennzeichnet also das, was die Griechen mit απορία bezeichnen, die eigentümliche Durchgangsstation des Daseins selbst gegenüber der Welt. Es kennzeichnet ein eigentümliches Unterwegssein des Daseins: in gewisser Weise um das Seiende zu wissen und doch nicht durchzukommen. Das άπορεϊν hat aber in sich selbst nicht etwa einen eigenständigen und positiven Sinn, sondern es hat nur den Funktionalsinn des rechten Verfolgens des Wissens des Seienden selbst, δια-πορεϊν, das vordringende Befragen, besagt: etwas nicht mehr selbstverständlich finden — wobei »selbstverständlich« das ist, was verstanden ist aus dem, was man gerade zufallig an Verständnis hat -. sondern der Sache selbst ihr Verständnis abgewinnen suchen. Die positiven Schritte im διαπορεϊν sind nichts anderes als die Vergegenwärtigungder bestimmten Sache. Weg und Richtung des άπορεϊν gehen von der Umwelt zur Welt, und zwar so, daß das άπορεϊν nicht auf das geht, was nur zufällig begegnet und gerade auffällt, sondern einschließt, daß das Dasein sich selbst auf den Weg macht, wobei das auffällt, was immer schon da ist. Wo solches άπορεϊν ist, da ist dieses Sich auf-den-Weg-Machen, das Unterwegssei η-zu ... So wird das άπορεϊν bzw. διαπορεϊν sowohl in der natürlichen Betrachtung der Welt wie in der ausdrücklich wissenschaftlichen Forschung zu dem Phänomen, das zeigt, inwiefern das Dasein in sich selbst auf das Aufdecken des Seienden lediglich um des Aufdeckens selbst willen zielt. Damit haben wir die letzte Bestimmung der σοφία gewonnen und zugleich gesehen, daß das θεωρεῖν ein völlig eigenständiges Verhalten des Daseins ist, das auf nichts anderes bezogen ist.

GA 19