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Frage nach dem Vorrang von φρόνησις oder σοφία

1. welches das Seiende ist, das aufgedeckt werden soll, ob es das ἀεί oder ένδεχόμενον ἄλλως δχειν ist, 2. inwieweit dieses Seiende in seiner ἀρχή aufgedeckt und verwahrt werden kann. Inzwischen ist das, was eine ἀρχή als solche ist, durchsichtiger geworden. Die ἀρχή ist das, was schon ist, das, von wo aus jedes Seiende eigentlich ist, was es ist. Charakteristisch ist, daß bei dem Seienden, das auch anders sein kann, die ἀρχή — das Je-immer-schon — der φρόνησις in der προ-αίρεσις vorweggenommen ist.

Die Frage ist, inwieweit es den verschiedenen Weisen des ἀληθεύειν gelingt, das Seiende in seiner ἀρχή aufzudecken und zu verwahren, d.h. inwieweit es ihnen gelingt, es in seinem eigentlichen Sein zu erfassen und zugleich als ἕξις festzuhalten. Das wurde von Aristoteles zunächst an der ἐπιστήμη und τέχνη illustriert. Die τέχνη nimmt im εἶδος die ἀρχή, das τέλος, vorweg, bekommt es aber im ἔργον nicht zu fassen. Auch in der ἐπιστήμη findet kein eigentliches Erfassen der ἀρχή statt. Wie steht es nun mit der Erschließung und Verwahrung der ἀρχή in der φρόνησις und der σοφία'.'


§ 21. Exposition der weiteren Aufgabe: Das Verhältnis von

ΦΡόνησις und σοφία zu den ἀρχαί.

σοφία. νοῦς καὶ ἐπιστήμη. Die Aufgabe der Klärung des βουλευ

εσθαι als Vollzugsart der φρόνησις

Wir haben schon gehört, daß die σοφία in gewisser Weise ἐπιστήμη ist; sie macht Gebrauch von den ἀρχαί. Aber sie ist auch νοῦς. Sie ist νοῦς καὶ ἐπιστήμη (1141a19 sq). Der νοῦς ist es, der in eigentlichem Sinne auf die ἀρχαί zielt und diese aufdeckt. Die σοφία ist kein reines νοεῖν. In ihrem νοεῖν macht sich die Vollzugsart des Menschen geltend, sofern darin der Mensch spricht; die σοφία ist μετὰ λόγου (Eth. Nic. VI, 6; 1140b31 sqq). Gleichwohl ist die σοφία kein bloßes διαλέγεσθαι, sondern sie ist in gewisser Weise νοεῖν. Das νοεῖν des νοῦς selbst ist άνευ λόγου.

GA 19