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§ 30 Philosophie — Dialektik — Sophistik

ist abgestellt auf reine Sachlichkeit. Der Philosoph hat sich als Vertreter dieser radikalen Forschung für die reine Sachlichkeit absolut entschieden. Auch beim Sophisten ist eine προαίρεσις, aber eine andere. Ihm kommt es darauf an zu erziehen, und zwar auch zu einer bestimmten Art der Existenz, nämlich die Anderen in die Möglichkeit zu versetzen, über alles, über das auch der Philosoph handelt, εύ λέγειν, »gut zu verhandeln«. Dabei wird vollständig davon abgesehen, ob dieses Redenkönnen über die Dinge wirklich von den Sachen selbst spricht. Sondern es kommt in der Sophistik, wie auch das Studium ihrer Geschichte zeigt, lediglich darauf an, daß über jedes Beliebige, das zur Diskussion steht, in einer ausgezeichneten Weise gesprochen werden kann. Die Sophistik hat das Ideal einer geistigen Existenz, das lediglich auf das formale Sprechen-Können gerichtet ist, das ja für die Griechen eine ausgezeichnete Bedeutung hatte. Sie hat das Ideal des rechten und schönen Reden- und Sprechen-Könnens über alle Dinge, abgesehen davon, ob das Gesagte stimmt oder nicht. Der Sophist entscheidet sich, für dieses formal-ästhetische Ideal menschlicher Existenz, d.h. eigentlich für die Unsachlichkeit während der Philosoph die προαίρεσις hat für den βίος des reinen θεωρεῖν des ἀληθές, des Aufgedeckten an ihm selbst. Was also für die Dialektik in der Ferne liegt, in Richtung worauf sie sich bewegt, bezüglich dessen ist der Philosoph nicht πειραστικός, sondern γνωριστικός (b26), er macht vertraut damit. Er hat die Möglichkeit, die δύναμις, die, wenn sie ernst macht, das Ganze in seinem Sein und seiner Seinsstruktursehen lassen kann. Die Sophistik dagegen ist φαινομένη (ibid.), sie sieht lediglich so aus, hat aber im Grunde ein anderes Ideal, οὖσα δ᾽ οὔ (ibid.), sie ist nicht wirklich Philosophie. So sehen Sie aus diesem Zusammenhang, aus der Orientierung der Dialektik und der Sophistik an der Idee der Philosophie, daß die Dialektik von Aristoteles nicht einfach negiert, sondern als πειραστική charakterisiert wird und so einen bestimmten positiven Sinn hat- Sie hat mit der Philosophie gemeinsam, daß sie spricht, wie Aristoteles in der

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