b) Kritik der traditionellen Interpretation der Sophistik
Die Sophistik selbst, wie sie sich historisch ausgebildet hat, wird in der üblichen Geschichte der Philosophie so gedeutet, als wären die Sophisten zugleich Vertreter bestimmter philosophischer Richtungen im Erkennen und Leben, so daß man die Sophisten zu Vertretern eines Skeptizismus, Relativismus, Subjektivismus, und wie diese Termini alle heißen, macht. Diese Auffassung ist unhaltbar, sofern die Sophisten von vorneherein nicht die Tendenz auf eine sachliche Behandlung wissenschaftlicher Fragen hatten. Sie hatten deshalb auch nicht die konkreten Mittel, wissenschaftlich zu philosophieren, so daß man ihnen auch keine bestimmte wissenschaftliche Überzeugung, und wäre es nur die des Skeptizismus, zusprechen kann. Was man auf diese Weise interpretiert, ist also in Wirklichkeit bei ihnen nur Gegenstand der Rede und des Argumentierens, nicht Gegenstand des Betrachtens. Z.B. der Satz des Protagoras: Der Mensch ist das Maß aller Dinge, ist nicht Ausdruck eines Relativismus oder Skeptizismus, wobei man noch eine Erkenntnistheorie in ihm sucht. Diese traditionelle Interpretation der Sophistik ist dadurch veranlaßt, daß man das, was positiv bekannt geworden ist an wissenschaftlichen philosophischen Versuchen, zu verstehen versucht als Gegenbewegung gegen die Sophistik. Bei diesem Verständnisversuch nimmt man aber das, wogegen Plato, Aristoteles und Sokrates sich vorgearbeitet haben, selbst auf demselben Niveau wie Plato und Aristoteles selbst. Man ubersieht, daß die wissenschaftliche Philosophie nicht in einer Gegenbewegung gegen Lehrgehalte, Schulen und dergl. entstanden ist, sondern aus einer radikalen Besinnung auf die Existenz, die im öffentlichen griechischen Leben durch das Bildungsideal der Sophisten bestimmt war, nicht aber durch eine bestimmte philosophische Richtung. Erst im Durchgang durch Plato kann man darauf kommen, die Sophisten zu Vertretern bestimmter philosophische/ Systeme zu machen. Dies ist ein verkehrtes Bild der geistigen