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Die fundamentalen Entdeckungen

Projektionen zu entwerfen, aber man vergißt, daß im Felde der philosophischen Forschung die entscheidende Arbeit immer die erstgenannte ist, d. h. die überhaupt freilegende und erschließende. Die Resultate bei solcher Forschung, die gleichsam unsichtbar und unterirdisch läuft und mit dem Zusammensturz der Vorurteile selbst begraben wird, sind dürftig und praktische Ergebnisse an logischer und ontologischer Arbeit ungewohnt genug, die des Aristoteles nicht minder. Aber gerade das leitet darauf hin, daß — um den Boden und die Horizonte zu gewinnen — der Weg nachgegangen werden muß in der Wegrichtung, daß die radikale, vielleicht noch nicht ausdrückliche Tendenz des Fragens ergriffen werden muß.

Die kategoriale Anschauung selbst und die Art der Ausarbeitung hat vor allem positiv auf die Arbeiten von Scheler gewirkt, insbesondere im Umkreis seiner Untersuchungen über die materiale Wertethik. Auch die Untersuchungen von Lask über die Logik der Philosophie und die Lehre vom Urteil sind von diesen Untersuchungen über die kategoriale Anschauung bestimmt.

Kategoriale Akte sind fundierte Akte, d. h. alles Kategoriale beruht letztlich auf sinnlicher Anschauung. Diese These muß richtig verstanden werden. Es ist damit nicht gesagt, daß die Kategorien letztlich als Sinnliches interpretiert werden können, sondern dieses »Beruhen« besagt soviel wie: es ist fundiert. Wir können den Satz seinem Sinn nach so formulieren: Alles Kategoriale beruht letztlich auf sinnlicher Anschauung, jede gegenständliche Explikation ist keine freischwebende, sondern eine solche des Vorgegebenen. Diese These: Alles Kategoriale beruht letztlich auf sinnlicher Anschauung, ist nur eine andere Formulierung des Aristotelischen Satzes: οὐδέποτε νοεῖ ἄνευ φαντάσματος ἡ ψυχή6; »Die Seele kann nichts vermeinen, Gegenständliches in seiner Gegenständlichkeit erfassen, wenn ihr nicht zuvor sich überhaupt etwas gezeigt hat.«« Ein Denken ohne fundierende Sinnlichkeit ist ein Widersinn. Die Idee eines

6 [De anima 431 a, 16 f., Oxford 1956.]


Martin Heidegger (GA 20) Prolegomena zur Geschichte Zeitbegriffs