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§ 28. Zeit als ursprüngliche reine Selbstaffektion

etwas Vorhandenem. Dieses Hinblicknehmen auf, dieses vorgängige obzwar unthematische Haben des Worauf ist das apriorische Sichbegegnenlassen — die Grundart des Seins des Selbst, in der es sich von sich selbst her ein anderes — das Worauf — begegnen, sich überhaupt von ihrn angehen, Kantisch gesprochen: sich affizieren läßt. Die vorgängige, unthematische Hinblicknahme auf... ist die ursprüngliche Selbstaffektion des Gemütes, in der es sich zu so etwas wie unendlich gegebener Größe, d. i. Zeit, verhält. Zeit ist als Wie des Sichgebenlassens überhaupt die ursprünglichste und universale Form der Gebbar-keit, die ursprüngliche universale Selbstaffektion, das Sichselbstangehen des Selbst als der semsmäßigen Bedingung der Möglichkeit eines Begegnens von etwas. Sofern diese Affektion nicht auf Empfindung beruht, d- h. zu keiner empirischen Anschauung gehört, muß sie als »reine« Selbstaffektion bezeichnet werden. Das Anschauen als reines Anschauen (die Zeit) ist zwar kein intuitus originarius im Sinne des intellectus archetypus, denn das Subjekt schafft nicht erst die Zeit; aber es ist doch ein intuitus derivativus, nämlich ein intuitus originarius eines geschaffenen Seienden. Das seiende Subjekt als geschaffenes hat hier die Möglichkeit, sich selbst von sich selbst her mit sich selbst zu affizieren, und zwar in einem ganz ursprünglichen Sinne. So sage ich: Zeit ist nach Kant die ursprüngliche, universale reine Selbstaffektion. Die bisherige Kantinterpretation hat diesen eigentlichen Sinn der Zeit vollkommen übersehen, obwohl an einer Stelle Kant ausdrücklich das Phänomen der Zeit so faßt.

Zeit als die ursprüngliche reine Selbstaffektion ist das Resultat der phänomenologischen Analyse, und es ist nichts anderes, als was Kant sagt. Da«, was wir Hinblicknahme auf das besagte Worauf nannten, kann, sagt Kant, »nichts anderes sein, als die Art, wie das Gemüt durch eigene Tätigkeit, nämlich durch dieses Setzen ihrer Vorstellung, mithin durch sich selbst affiziert wird, d. i. ein innerer Sinn seiner Form nach« (B 67 f.). Statt dieses: Setzen »ihrer« Vorstellung (d. h. ihres Vorstellens) im


Martin Heidegger (GA 21) Logik Die frage nach der Wahrheit

GA 21