267
Aus der Nachschrift Mörchen

(151e1 sq.) Wissen = Wahrnehmung. Zurückführung dieses Satzes auf Protagoras: homo mensura (152 a 1 sqq.). Was ist, ist das, was sich zeigt. Das Sich-zeigende ist das Seiende. Erfassung des Seienden ist Sich-zeigen-lassen in der Weise des Wahrnehmens. Doch Tatsache ist, daß sich dasselbe für den einen so zeigt, für den anderen anders. Der eine friert beim Wind, der andere nicht, der eine sehr, der andere wenig: Was ist also der Wind selbst? Die Frage nach dem φαίνεσθαι ist verkoppelt mit der Frage nach der Selbigkeit des Seienden. Kann es dasselbe sein und trotzdem für verschiedene Wahrnehmungen sich verschieden zeigen? Was ist das eigentliche Sein an diesem Seienden, seine Selbigkeit oder sein Anderssein, sein Werden? Frage nach dem Verhältnis von Sein und Werden: ob das Sein im Sinne des Bestehens das Sein ausmacht oder ob Änderung und Werden als das eigentlich Seiende anzusprechen ist. Im Gegensatz zu den früheren Dialogen versucht Plato hier mindestens hypothetisch eindringlich zu machen, daß im Grunde das Werdende das eigentlich Seiende ist und daß das Ruhende eigentlich nicht ist. Nicht die αἴσθησις steht in Frage, sondern das Seiende im Sinne des Veränderlichen. Weil Werden Übergang ist von Sein zu Nichtsein, liegt hierin die Frage nach dem μὴ ὄν: inwiefern das Nichtseiende doch im Grunde Seiendes ist. Die Frage: »Was ist Erkenntnis?« soll nicht herausinterpretiert werden. Aber sie ruht auf der Frage nach dem Sein.

1. These: Erkenntnis ist αἴσθησις. Wahrnehmung ist Wahrnehmung von. Diese Struktur wird heute als intentionale Struktur eines Verhaltens bezeichnet. Diese Verhaltungen sind ihrer Struktur nach ausgerichtet auf etwas. Nicht so, daß zunächst eine Seele da wäre, die sich mittels der Wahrnehmung auf etwas richtet, sondern die Wahrnehmung als solche ist Wahrnehmung von. Zwei Grundrichtungen der Philosophie: Diese Verhaltungen können 1. nach ihrer intentionalen Struktur betrachtet werden; 2. Betrachtung in objektivem, naturalistischem Sinne: ein Vorgang in einem psychischen Subjekt, der im Ablaufszusammenhang steht mit Physischem draußen; dies


Martin Heidegger (GA 22) Grundbegriffe der antiken Philosophie

GA 22