Denn es müßte zuvor feststehen, daß die phänomenologische Forschung heute das Zentrum der philosophischen Problematik gewonnen und aus deren Möglichkeiten ihr eigenes Wesen bestimmt hat. Das ist aber, wie wir sehen werden, nicht der Fall — und so wenig ist es der Fall, daß es eine der Hauptabsichten der Vorlesung ist zu zeigen, daß die phänomenologische Forschung, in ihrer Grundtendenz begriffen, nichts anderes darstellen kann als das ausdrücklichere und radikalere Verständnis der Idee der wissenschaftlichen Philosophie, wie sie in ihrer Verwirklichung seit der Antike bis zu Hegel in immer neuen und in sich einheitlich zusammenhängenden Bemühungen angestrebt wurde.
Bislang wird, auch innerhalb der Phänomenologie, diese selbst verstanden als eine philosophische Vorwissenschaft, die den eigentlichen philosophischen Disziplinen der Logik, Ethik, Ästhetik und Religionsphilosophie den Boden bereitet. In dieser Bestimmung der Phänomenologie als Vorwissenschaft übernimmt man aber den traditionellen Bestand der philosophischen Disziplinen, ohne zu fragen, ob nicht gerade durch die Phänomenologie selbst dieser Bestand der überlieferten philosophischen Disziplinen in Frage gestellt und erschüttert wird, — ob nicht in der Phänomenologie die Möglichkeit liegt, die Veräußerlichung der Philosophie in diese Disziplinen rückgängig zu machen und ihre eigene große Tradition aus ihren wesentlichen Antworten in ihren Grundtendenzen neu anzueignen und zum Leben zu bringen. Wir behaupten: Die Phänomenologie ist nicht eine philosophische Wissenschaft unter anderen, auch nicht die Vorwissenschaft für die übrigen, sondern der Ausdruck >Phänomenologie< ist der Titel für die Methode der wissenschaftlichen Philosophie überhaupt.
Die Aufklärung der Idee der Phänomenologie ist gleichbedeutend mit der Exposition des Begriffs der wissenschaftlichen Philosophie. Damit haben wir freilich noch keine inhaltliche Bestimmung dessen gewonnen, was Phänomenologie bedeutet, noch weniger sehen wir daraus, wie diese Methode sich