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Einleitung

vorgegebenen Seienden auf sein Sein und dessen Strukturen bezeichnen wir als phänomenologische Konstruktion.

Aber auch mit ihr ist die Methode der Phänomenologie nicht erschöpft. Wir hörten, jedes Entwerfen von Sein vollzieht sich im reduktiven Rückgang vom Seienden her. Vom Seienden nimmt die Seinsbetrachtung ihren Ausgang. Dieser ist offensichtlich jeweils bestimmt durch die faktische Erfahrung des Seienden und den Umkreis der Erfahrungsmöglichkeiten, die jeweils einem faktischen Dasein, d. h. der geschichtlichen Lage einer philosophischen Forschung, eignen. Nicht ist zu jeder Zeit und für jeden alles Seiende und bestimmte Gebiete desselben in gleicher Weise zugänglich, und selbst wenn das Seiende im Umkreis der Erfahrung zugänglich ist, bleibt noch die Frage, ob es in der naiven und vulgären Erfahrung schon in seiner spezifischen Seinsart angemessen verstanden ist. Weil das Dasein seiner eigenen Existenz nach geschichtlich ist, sind die Zugangsmöglichkeiten und die Auslegungsweisen des Seienden selbst in verschiedenen geschichtlichen Lagen verschieden, variabel. Der Blick auf die Geschichte der Philosophie zeigt, daß sehr bald mannigfache Gebiete des Seienden entdeckt wurden: Natur, Raum, Seele, daß sie aber gleichwohl nicht in ihrem spezifischen Sein begriffen werden konnten. Schon in der Antike stellte sich ein Durchschnittsbegriff von Sein heraus, der zur Interpretation alles Seienden der verschiedenen Seinsgebiete und seiner Seinsweisen verwendet wurde, ohne daß das spezifische Sein selbst ausdrücklich in seiner Struktur zum Problem gemacht wurde und umgrenzt werden konnte. So sah Plato sehr wohl, daß die Seele und ihr Logos ein anderes Seiendes ist als das sinnlich Seiende. Aber er war nicht imstande, die spezifische Seinsart dieses Seienden abzugrenzen gegen die Seinsart irgendeines anderen Seienden bzw. Nichtseienden, sondern für ihn sowohl wie für Aristoteles und die Folgezeit bis zu Hegel und erst recht für die Nachkommenden bewegen sich alle ontologischen Untersuchungen in einem Durchschnittsbegriff von Sein

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