Luft dieser Leben heraus, die zähe, träge, stockige Luft, die kein Wind noch zerstreut hatte. Da standen die Mittage und die Krankheiten, und das Ausgeatmete und der jahrealte Rauch und der Schweiß, der unter den Schultern ausbricht und die Kleider schwer macht, und das Fade aus den Munden und der Fuselgeruch gärender Füße. Da stand das Scharfe vom Urin und das Brennen vom Ruß und grauer Kartoffeldunst und der schwere, glatte Gestank von alterndem Schmalze. Der süße, lange Geruch von vernachlässigten Säuglingen war da und der Angstgeruch der Kinder, die in die Schule gehen, und das Schwüle aus den Betten mannbarer Knaben. Und vieles hatte sich dazugesellt, was von unten gekommen war, aus dem Abgrund der Gasse, die verdunstete, und anderes war von oben herabgesickert mit dem Regen, der über den Städten nicht rein ist. Und manches hatten die schwachen, zahm gewordenen Hauswinde, die immer in derselben Straße bleiben, zugetragen, und es war noch vieles da, wovon man den Ursprung nicht wußte. Ich habe doch gesagt, daß man alle Mauern abgebrochen hatte bis auf die letzte -? Nun, von dieser Mauer spreche ich fortwährend. Man wird sagen, ich hätte lange davorgestanden; aber ich will einen Eid geben dafür, daß ich zu laufen begann, sobald ich die Mauer erkannt hatte. Denn das ist das Schreckliche, daß ich sie erkannt habe. Ich erkenne das alles hier, und darum geht es so ohne weiteres in mich ein: es ist zu Hause in mir.«4 Man beachte, wie elementar hier die Welt, d. h. das In-der-Welt-sein — Rilke nennt es das Leben - aus den Dingen uns entgegenspringt. Was Rilke hier mit seinen Sätzen aus der bloßgelegten Mauer herausliest, ist nicht in die Mauer hineingedichtet, sondern umgekehrt, die Schilderung ist nur möglich als Auslegung und Erleuchtung dessen, was in dieser Mauer >wirklich< ist, was aus ihr im natürlichen Verhältnis zu ihr herausspringt. Der Dichter vermag diese ursprüngliche, obzwar
4 R. M. Rilke, Werke. Auswahl in zwei Bänden. Leipzig 1955. Bd. 2, p. 39-41.