291§ 16. Erörterungen in der Geschichte der Logik
Sechstens: Das Wahrsein ist — damit gehen wir zu Aristoteles
zurück — der Ausdruck eines Seienden, das nur im Denken
ist, nicht aber in den Dingen.
Zusammenfassend gesagt: Im ›ist‹ liegt beschlossen:
1. Etwas-sein (zufälliges), 2. Was-sein (notwendiges), 3. Wie-sein,
4. Wahr-sein. Sein von Seiendem besagt: Washeit, Wieheit,
Wahrheit. Weil alles Seiende durch das Was und das Wie
bestimmt ist und als Seiendes in seinem Wassein und Wiesein
enthüllt ist, ist die Kopula notwendig mehrdeutig. Diese Mehrdeutigkeit
aber ist kein ›Mangel‹, sondern nur der Ausdruck
der in sich vielfältigen Struktur vom Sein eines Seienden —
mithin des Seinsverständnisses überhaupt.
Die Frage nach dem Sein als Kopula ist nach den gegebenen
Darstellungen an der Aussage und Aussage-Wahrheit, genauer
am Phänomen der Verbindung von Worten orientiert. Die
Charakteristik des ›ist‹ als Kopula ist keine zufällige Namensgebung,
sondern der Ausdruck dafür, daß die Interpretation
dieses als Kopula bezeichneten ›ist‹ sich an der ausgesprochenen,
als Wortfolge geäußerten Aussage orientiert.
Es ist zu fragen: Trifft diese Kennzeichnung des ›ist‹ als
Kopula den ontologischen Sinn des mit dem ›ist‹ ausgedrückten
Seins? Kann der Ansatz der traditionellen Fragestellung
bezüglich des ›ist‹ festgehalten werden, oder beruht nicht
gerade die Verwirrung des Kopula-Problems darin, daß man
dieses ›ist‹ im vorhinein als Kopula charakterisiert und darauf
hin alle weiteren Problemstellungen einrichtet?