§ 19. Zeitlichkeit und Zeitlichkeit
Jetzt ist seinem Wesen nach schon das Noch-nicht, schon als Dimension auf das Kommende bezogen, während sehr wohl eine durch das gesagte Jetzt bestimmte Bewegung in diesem Jetzt aufhören kann. Ich kann mit Hilfe des Jetzt eine Grenze markieren, es als solches aber hat keinen Grenzcharakter, sofern es innerhalb des Kontinuum der Zeit selbst genommen wird. Das Jetzt ist nicht Grenze, sondern Zahl, nicht πέρας, sondern άριθμός. Aristoteles hebt die Zeit als άριθμός ausdrücklich gegen πέρας ab. Die Grenzen von etwas, sagt er, sind, was sie sind, nur in eins mit dem Seienden, das sie begrenzen. Die Grenze von etwas gehört zur Seinsart des Begrenzten. Das gilt nicht von der Zahl. Sie ist an das, was sie zählt, nicht gebunden. Die Zahl kann etwas bestimmen, ohne daß sie ihrerseits von der Sachhaltigkeit und der Seinsart des Gezählten abhängig wäre. Ich kann sagen: zehn Pferde. Hier bestimmt die Zehn zwar die Pferde, aber die Zehn hat nichts vom Charakter der Pferde und ihrer Seinsart. Die Zehn ist nicht eine Grenze der Pferde als Pferde; denn ich kann mit ihr ebensosehr Schiffe, Dreiecke oder Bäume zählend bestimmen. Das Charakteristische der Zahl liegt darin, daß sie etwas so bestimmt — im griechischen Sinne auch begrenzt -, daß sie von dem Begrenzten selbst unabhängig ist. Die Zeit als Zahl, als das von uns charakterisierte Gezählte-Zählende, gehört nicht zum Seienden selbst, das sie zählt. Wenn Aristoteles sagt: die Zeit ist das Gezählte an der Bewegung, so will er damit betonen, daß wir zwar von dem Jetzt her die Bewegung als Übergang zählen und bestimmen, daß aber deshalb dieses zählende Gezählte, die Zeit, weder an den Sachgehalt des Bewegten und an seine Seinsart, noch an die Bewegung als solche gebunden ist. Dennoch begegnet die Zeit im zählenden Verfolg einer Bewegung als ein Gezähltes. Damit offenbart sich ein eigentümlicher Charakter der Zeit, der später bei Kant in einem bestimmten Sinne als Form der Anschauung interpretiert wurde.