405

§ 20. Zeitlichkeit und Temporalität

        Erkenntnis werden soll. Wie das έπέκεινα bestimmt werden 
        muß, was das ›darüber hinaus‹ besagt, was bei Plato die Idee 
        des Guten bedeutet und in welcher Weise die Idee des Guten 
        dasjenige ist, was Erkenntnis und Wahrheit ermöglichen soll, 
        ist in vieler Hinsicht dunkel. Auf die Schwierigkeiten der 
        Platonischen Interpretation gehen wir hier nicht ein, auch nicht 
        auf den Nachweis des Zusammenhanges der Idee des Guten 
        mit dem, was wir früher über das antike Seinsverständnis, seinen 
        Ursprung aus dem Herstellen, erörterten. Es sieht so aus, 
        als würde unsere These, die antike Philosophie interpretiere 
        das Sein im Horizont des Herstellens im weitesten Sinne, in 
        gar keinem Zusammenhang mit dem stehen, was Plato als die 
        Bedingimg der Möglichkeit des Seinsverständnisses fixiert. 
        Unsere Interpretation der antiken Ontologie und ihres Leitfadens 
        scheint willkürlich zu sein. Was soll die Idee des Guten mit dem 
        Herstellen zu tun haben? Ohne darauf näher einzugehen, 
        geben wir nur den Hinweis, daß die ἰδέα ἀγαθοΰ nichts anderes 
        ist als der δημισυργός, der Hersteller schlechthin. Das läßt bereits 
        sehen, wie die ἰδέα ἀγαθοϋ mit dem ποιεϊν, πράξις, τέχνη 
        im weitesten Sinne zusammenhängt.
                    c) Die zeitliche Interpretation
des existenziellen eigentlichen und uneigentlichen Verstehens
        Die Frage nach der Möglichkeit des Seinsverständnisses stößt 
        auf etwas, was über das Sein hinaus liegt, auf ein ›darüber 
        hinaus‹. Was das Seinsverständnis ermöglicht, werden wir 
        ohne jedes Bild nur dann finden, wenn wir zunächst fragen: 
        Was macht das Verstehen als solches möglich? Ein wesentliches 
        Moment des Verstehens ist der Entwurf; das Verstehen 
        selbst gehört zur Grundverfassimg des Daseins. Wir fragen 
        diesem Phänomen und seiner Möglichkeit weiter nach und 
        erinnern uns hierfür zugleich an Früheres: Verstehen gehört 
        zur Grundverfassung des Daseins; das Dasein aber gründet in 
        der Zeitlichkeit. Inwiefern ist diese die Bedingung der Möglichkeit

Martin Heidegger (GA 24) Die Grundprobleme der Phänomenologie