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§ 21. Temporalität und Sein

men, nicht ohne weiteres, es sei schlechthin vernichtet. Wohl kann etwas in der Weise abhanden sein, daß es überhaupt nicht mehr ist, - daß es vernichtet ist. Es entsteht aber die Frage, was dieses Vernichtetsein besagt, ob es mit dem Nichtsein und Nichts gleichgesetzt werden darf. Wir sehen jedenfalls wieder, daß sich schon bei einer rohen Analyse eine Mannigfaltigkeit von in sich fundierten Stufen des Seins allein innerhalb des Seins der Dinge und des Zeugs offenbart. Inwiefern das Zeugverständnis auf das Verstehen von Bewandtnis, Bedeutsamkeit und Welt und damit auf die ekstatisch-horizontale Verfassung des Daseins zurückgeht, ist im rohen gezeigt. Jetzt interessiert uns lediglich die Seinsart des Zeugs, die Zuhandenheit desselben, mit Rücksicht auf seine temporale Möglichkeit, d. h. mit Rücksicht darauf, wie wir Zuhandenheit als solche zeitlich verstehen.

Schon aus dem Hinweis auf die mögliche Modifikation des Seins des Zuhandenen zum Abhandenen können wir entnehmen, daß Zuhandenheit und Abhandenheit bestimmte Abwandlungen eines Grundphänomens sind, das wir formal mit Anwesenheit und Abwesenheit und allgemein als Praesenz kennzeichnen. Wenn die Zuhandenheit oder das Sein dieses Seienden einen praesentialen Sinn hat, dann ist damit gesagt: Diese Seinsart ist temporal verstanden, d. h. aus der Zeitigung der Zeitlichkeit im Sinne der charakterisierten ekstatisch-horizontalen Einheit. Wir gebrauchen jetzt in der Dimension der Interpretation des Seins aus der Zeit für alle Zeitbestimmungen absichtlich lateinische Ausdrücke, um sie von den Zeitbestimmungen der Zeitlichkeit in dem bisher charakterisierten Sinne schon terminologisch zu unterscheiden. Was besagt Praesenz mit Rücksicht auf die Zeit und auf die Zeitlichkeit überhaupt? Wollten wir antworten: Sie ist das Moment der Gegenwart, so wäre damit wenig gesagt. Es bleibt die Frage, warum wir statt Praesenz nicht Gegenwart sagen. Wenn wir gleichwohl diesen Terminus gebrauchen, muß dieser neue Gebrauch einer neuen Bedeutung entsprechen. Beide Phänomene,


Martin Heidegger (GA 24) Die Grundprobleme der Phänomenologie

Basic Problems of Phenomenology p. 304

GA 24