Aber freilich, die bloße Bereitschaft zur Auseinandersetzung ist zwar eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Interpretation. Es bedarf eines Zweiten: der Mittel und Wege, ein solches besseres Verständnis zu gewinnen. Es ist von geringem Nutzen, weitläufig über die Methode der Interpretation zu handeln, bevor der Gegenstand, den sie betrifft, zureichend bekannt ist. Wir beschränken uns auf wenige Bemerkungen. Unsere Interpretation hat das Werk Kants zum Thema, das das Zentrum seiner philosophischen Arbeit ist. Durch die Kritik der reinen Vernunft wird die vorangegangene Philosophie bis zurück zur Antike in ein neues Licht gestellt, und für die Folgezeit ist sie der Ausgang einer neuen philosophischen Problematik.
Um klar vor Augen zu legen, was Kant hat sagen wollen, müssen wir mit dem Text vertraut werden. Es bedarf einer Kenntnis des Aufbaus des Ganzen, des Zusammenhangs der einzelnen Stücke, der Verschlingung der Beweisgänge, einer Kenntnis der Begriffe und Prinzipien. Es scheint ein Leichtes zu sein, einfach festzustellen, was dasteht. Aber selbst wenn wir uns eindringlich die Begriffe und Fragestellungen und Bedingungen zueignen, indem wir sie aufhellen, beziehungsweise ihre Herkunft aus der Tradition fixieren und die Umwandlung, die Kant vollzog, auch dann fassen wir noch nicht, was dasteht. Um so weit vorzudringen, müssen wir Augen haben, das zu sehen, was in Kants Blick stand, als er die Probleme fixierte und einer Lösung entgegenführte und in die Gestalt des Werkes zwang, das wir als Kritik der reinen Vernunft vor uns haben. Es hilft nichts, Kantische Begriffe und Sätze nachzusprechen oder mit anderen zu umschreiben, wir müssen dahin kommen, sie mit ihm zu sprechen in und aus derselben Blickstellung.
Das sehen lernen, was Kant meint, verlangt also, überhaupt ein Verständnis philosophischer Probleme lebendig zu machen. Die Einführung in die Grundprobleme jedoch schicken wir der Interpretation nicht voraus, sondern im Vollzug der Interpretation sollen wir in das Sachverständnis der philosophischen Problematik