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Was heißt Philosophie?

sei mit dem Mangel der Unwissenschaftlichkeit behaftet. Wenn etwas nicht Wissenschaft sein kann und nicht sein soll, dann kann ihm die Unwissenschaftlichkeit nicht als Gebrechen zugerechnet werden. Aber wir hörten schon: >Philosophie ist nicht Wissenschaft< besagt nicht, sie sei unwissenschaftlich, wenn unwissenschaftlich besagt: gegen die Normen und Methoden der Wissenschaft verstoßend. Nicht unwissenschaftlich, weil auch nicht »wissenschaftlich« — keine möglichen Prädikate in einem primären Sinne. Nur das eine ist vorläufig deutlich. Die These sagt: Philosophie gehört nicht unter die »Gattung« Wissenschaft, wenn wir einmal diesen formallogischen Terminus gebrauchen dürfen.

Aber so eindeutig diese Auskunft ist, sie befriedigt nicht angesichts des geschichtlichen Faktums, daß Denker wie Kant und Hegel sich bemühten, die Philosophie zum Rang einer Wissenschaft zu erheben. Vielleicht ist das Verhältnis der Philosophie zur Wissenschaft, gerade wenn die Philosophie etwas auf nichts anderes Zurückführbares ist, ein ganz eigentümliches, das wir mit der Erklärung »Philosophie fällt nicht unter die Gattung Wissenschaft« längst nicht erfaßt haben.

In der Tat, Philosophie ist nicht deshalb keine Wissenschaft, weil sie an das Ideal einer Wissenschaft nicht heranreichte, darunter zurückbleiben müßte, weil ihr das, was Wissenschaft als solche bestimmt, fehlte, sondern weil ihr das, was die Wissenschaft nur in einem abgeleiteten Sinne hat, in einer ursprünglichen Weise zukommt. Philosophie ist keine Wissenschaft — nicht aus Mangel, sondern sie kann nicht Wissenschaft sein aus Überfluß, der dabei ein grundsätzlicher ist, nicht nur ein quantitativer.

Wir sagten schon, der Ausdruck »wissenschaftliche Philosophie« sei ebenso wie der Ausdruck »hölzernes Eisen« zweideutig. Weit besser entspricht dem Ausdruck »wissenschaftliche Philosophie« die Bezeichnung »rundlicher Kreis«. Hier wird dem Kreis etwas zugesprochen, was ihm nicht zukommt; denn der Kreis ist eben nicht rundlich d.h. nur in etwa rund, sondern


Martin Heidegger (GA 27) Einleitung in die Philosophie

GA 27