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§ 42. Weltanschauung als Haltung

1. Die Haltung gibt dem Dasein einen gewissen Vorzug im Seienden. Der Mensch selbst wird wichtig; alles wird auf den Menschen bezogen mnd aus seinem Sinnen und Trachten erklärt. Der Mensch selbst wird damit ein betonter Gegenstand der Erörterung und Besinnung. Haltung als Wesentlichwerden des eigenen Seinkönnens wird jetzt genommen als sich mit sich selbst beschäftigen. Der Betrieb wird jetzt gleichsam umgeleitet auf den Menschen. Im Gefolge der Ausbildung der Weltanschauung als Haltung zeigt sich immer der Anthropologismus, die Betulichkeit dem Menschen gegenüber als Psychologie, charakterologische Analyse. Mit welchen Mitteln das faktisch je geschieht, ist gleichgültig. Die moderne Psychologie, wo sie — wie meist — ihre enggezogenen Grenzen überschreitet, unterscheidet sich in nichts von der antiken Sophistik, nur daß die letztere noch ein ganz anderes geistiges Niveau hatte.

2. In der Haltung ist das sich verhaltende Handeln wesentlich. Das Wie des Handelns hat einen gewissen Vorrang vor dem Was des Tuns und dem, womit wir beschäftigt sind. Hierin liegt die Möglichkeit, daß das Wie der Haltung sich übersteigert auf Kosten eines konkreten und eigentlich wirkenden Handelns, und zwar kann sich das Wie des Handelns so übersteigern, daß es selbst Gegenstand einer eigenartigen Pflege und Gestaltung wird. Wesentlich wird jetzt die Haltung als Geste; was gepflegt wird, ist die Gebärde, die meist aus dem wirklichen Handeln sich zurückzieht und, ihrer Intention entsprechend, der Kunst und ihrem Gestalten einen Vorzug gibt, d.h. sich zur Darstellung ihrer Gebärde einen entsprechenden Inhalt aussucht, der dann als maßgebend für alles, als sakrosankt erklärt wird. Es kommt notwendig zu einer freilich nur literarischen und aesthetischen Erneuerung von Kulten und Mythen; in Zusammenhang damit geht die Heroisierung bestimmter Menschen.

Gegenüber der ersten Form der Entartung, dem Anthropologismus, der auf Grund seiner wahllosen Zergliederung des Menschen und Anhäufung von Kenntnissen über ihn leicht zur Barbarei führt, liegt in der zweiten Form, die immer mit einer


Martin Heidegger (GA 27) Einleitung in die Philosophie

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