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Umwege zur Bestimmung des Wesens der Philosophie

ihr zu folgen. dahin, wohin sie uns zieht? Können wir wirklich nicht sehen, wohin sie entweicht, oder schrecken wir nur vor der eigentümlichen Anstrengung zurück, die darin liegt, die Metaphysik direkt zu ergreifen?

Das negative Ergebnis lautet: Philosophie läßt sich nicht auf Umwegen und als etwas anderes denn sie selbst fassen und bestimmen. Sie verlangt, daß wir nicht von ihr wegsehen, sondern sie 'aus ihr selbst gewinnen. Sie selbst — was wissen wir denn von ihr, was und wie ist sie denn? Sie selbst ist nur, wenn wir philosophieren. Philosophie ist Philosophieren. Das scheint eine schlechte Auskunft zu sein. So sehr wir scheinbar nur dasselbe wiederholen, so Wesentliches ist damit ausgesprochen. Es ist die Richtung gewiesen, in der wir zu suchen haben, die Richtung auch, in der sich uns die Metaphysik entzieht. Metaphysik als Philosophieren, als unser eigenes, als menschliches Tun — wie und wohin soll sich die Metaphysik als Philosophieren, als unser eigenes, als menschliches Tun uns entziehen, wenn wir selbst doch die Menschen sind? Aber wissen wir denn, was wir selbst sind? Was ist der Mensch? Die Krone der Schöpfung oder ein Irrweg, ein großes Mißverständnis und ein Abgrund? Wenn wir so wenig vom Menschen wissen, wie soll uns da unser Wesen nicht fremd sein? Wie soll sich uns nicht das Philosophieren als ein menschliches Tun im Dunkel dieses Wesens verhüllen? Philosophie — so wissen wir wohl obenhin — ist keine beliebige Beschäftigung, mit der wir uns nach Laune die Zeit vertreiben, kein bloßes Sammeln von Kenntnissen, die wir uns jederzeit leicht aus Büchern beschaffen, sondern — wir wissen es nur dunkel — etwas im Ganzen und Äußersten, worin eine letzte Aussprache und Zwiesprache des Menschen geschieht. Denn wozu wären wir sonst hierher gekommen? Oder sind wir nur so hierher geraten, weil andere auch hingehen, oder weil wir gerade zwischen fünf und sechs eine freie Stunde haben, in der es sich nicht lohnt, nach Hause zu gehen? Warum sind wir da? Wissen wir, womit wir uns einlassen?


Martin Heidegger (GA 29/30) Die Grundbegriffe der Metaphysik