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§ 28. Tieferwerden der zweiten Form der Langeweile

Dieser Schwierigkeit gegenüber, die sich von selbst aufdrängt, muß doch zunächst daran festgehalten werden, daß der früher herausgestellte Unterschied der beiden Formen , der Langeweile hinsichtlich der wesentlichen Verhaftung der zweiten Form der Langeweile im Dasein als solchem sich aus der Langeweile und ihrer Struktur ergeben hat. Gegen diesen in der Sache selbst liegenden Unterschied kann nicht ins Gewicht fallen, daß vielleicht die Situation der ersten Form als Situation eine höhere ist als die der zweiten Form. Freilich — in beiden Fällen ist die Art der Situation nicht zufällig für den Charakter der Langeweile. So kommen wir an der ausdrücklichen Frage und Entscheidung nicht vorbei: Wie steht es um die beiden Situationen und ihr Zeitverhältnis? Weist das Keine-Zeit-haben und Keine-Zeit-nehmen-wollen in der ersten Form auf eine ernstere und höhere Situation hin gegenüber dem Zeithaben und Zeitverschwenden in der zweiten? Die Frage ist doch bezüglich der ersten Form: Warum haben wir keine Zeit? Inwiefern wollen wir keine Zeit verlieren? Weil wir sie brauchen und verwenden wollen. Wofür? Für unsere alltäglichen Beschäftigungen, deren Sklaven wir längst geworden sind. Wir haben keine Zeit, weil wir selbst nicht lassen können von dem Mittun bei allem, was gerade los ist. Am Ende ist dieses Keine-Zeit-haben eine größere Verlorenheit des Selbst als jenes sich Zeit lassende Zeitverschwenden. Vielleicht liegt in diesem Zeithaben eine weit größere Ausgeglichenheit und damit Sicherheit des Daseins — ein Bei-sich-selbst, das zum mindesten ahnt, daß das Wesentliche im Dasein durch keine Betriebsamkeit und Hetze erzwungen werden kann, was freilich nicht ausschließt, sondern vielleicht gerade bedingt, daß wir uns gerade in dieser Situation, wo wir uns Zeit lassen, gleichwohl langweilen bei. .. Dieses Zeithaben und Keine-Zeit-haben ist wesentlich zweideutig. Das ›keine Zeit haben‹, das so aussieht wie der strengste Ernst, ist vielleicht die größte Verlorenheit an die Banalitäten des Daseins.