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§ 1. Der Bezirk der Frage nach δύναμις und ἐνέργεια

Es liegt nahe, und ist daher auch beliebt, gerade bei Darstellungen der antiken Philosophie spätere und neuere Lehrea fur das Verständnis zu Hilfe zu rufen. In der Frage nach den Kategorien des Aristoteles pflegt man Kant beizuziehen. Er hat ja doch auch die Kategorien >logisch< aus der Tafel der Urteilsformen, der Weisen des Aussagens, gewonnen. Allein hier und dort besagt nicht nur ›logisch‹ und ›logisch‹ etwas Verschiedenes. Man ubersieht vor allem einen Grundcharakter der Kategorien, wie Aristoteles sie versteht. Und dieser Grundcharakter der Kategorien ist gerade an unserer Stelle eigens genannt: κατηγορίαι τοΰ δντος, »Kategorien des Seienden«. Was ist damit gemeint: Kategorien, die sich auf das Seiende als ihr ›Objekt‹ beziehen (genitivus objectivus), oder Kategorien, die dem Seienden als ›Subjekt‹ angehören (genitivus subjectivus)? Oder ist beides gemeint? Oder keines von beiden? Wir müssen das offenlassen.

Jedenfalls ist damit abweisend schon gesagt: Die übliche Vorstellung der Kategorien als ›Denkformen‹, als irgendwelche Hülsen, in die wir das Seiende stopfen, verfehlt den Tatbestand. Um so mehr, als Aristoteles an unserer Stelle die Kategorien sogar einfachhin nennt τά δντα, »die Seienden«, das, was schlechthin in das Seiende gehört.

Allein wir sagten doch zuvor und gerade in Auslegung des; zweiten Satzes des Aristoteles, die Kategorien seien im λόγος beheimatet. Der λόγος aber, die Aussage, ist Aussage über das Seiende, nicht das Seiende selbst. So haben wir das Doppelte: Die Kategorien gehören in den λόγος — die Kategorien sind das Seiende selbst. Wie geht das zusammen? Die Antwort fehlt. Und wir bedenken fortan: Die Frage nach dem Wesen der Kategorien führt ins Dunkel.

(Das Wesen der Kategorien ist verwurzelt im λόγος als sammelndem Offenbarmachen. Bedeutet dies Zusammen von Einheit und Wahrheit: Sein? Wo es, bei Parmenides, zum ersten Sagen des Seins kommt, da ist das εν der Charakter der Anwesenheit [vgl. u. S. 23]. Zu beachten ist der Zusammenhang


Martin Heidegger (GA 33) Aristoteles Metaphysik IX 1-3