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§ 20. Das Wahrnehmbare und das Wahrnehmungsvermögen

des Ortes, an dem wir je als Menschen stehen. Und nur wenn wir diesen Ort in seiner ganzen Ortlichkeit durchschritten haben, vermögen wir in Klarheit zu entscheiden, was ατοπος ist — ohne Ort und nicht unterzubringen innerhalb dessen, was überhaupt seinen Ort haben kann.

So verstanden gewinnt der Satz des Protagoras eine ganz neue Bedeutung, diejenige nämlich, die ihn zum obersten Grundsatz alles Philosophierens erhebt. »Aller Dinge Maß ist der Mensch, der Seienden, daß sie sind, der Nichtseienden, daß sie nicht sind.« Ein Grundsatz — nicht als billige und beliebig gangbare Aussage, sondern als An- und Einsatz der Frage, in der sich der Mensch auf den Grund seines Wesens geht. Dieses Fragen aber ist die Grundhandlung alles Philosophieren-.

Das nunmehr geklärte Argument des Aristoteles bezüglich der αψυχα weist in eine Grundfrage der Philosophie. Daraus ist zu entnehmen, in welchem wesentlichen Zusammenhang sich die thematische Frage überhaupt bewegt.


b) Ausübung und Nichtausübung des Wahrnehmens


Wie sehr wir die αψυχα fassen müssen als αισθητά, in ihrem Wahrgenommensein, aber gleichwohl so, daß nun nicht die αΐσθησις allein abgelöst für sich in Frage kommt, das zeigt uns das folgende Argument (Met. Θ 3).

1047 a 7—10: ἀλλά μὴν οὐδ᾽ αἴσθησιν ἕξει οὐδέν ἐὰν μὴ αἰσθάνηται μηδ᾽ ἐνεργῇ. εἰ οὖν τυφλὸν τὸ μὴ ἔχον ὄψιν, πεφυκὸς δὲ καὶ ὅτε πέφυκε ὄν [καὶ] ἔτι ως [ich lese WS statt Ov. H.], οἱ αὐτοὶ τυφλοὶ ἔσονται πολλάκις τῆς ἡμέρας καὶ κωφοί. »Ja sogar nicht einmal Wahrnehmung könnte (ein Lebendes) ›haben‹, wenn es nicht (solange es nicht) im Wahrnehmen begriffen und also nicht am Werke ist. Wenn nun blind das ist, was nicht das Gesicht (Sehvermögen) hat, obzwar es dazu von Natur geeignet ist, und zu der Zeit, wenn es diese Eignung hat, und ferner in


Martin Heidegger (GA 33) Aristoteles Metaphysik IX 1-3