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Der Spruch des Anaximander

und beizubiegen, sondern ganz im Gegenteil: wir brauchen nur die alltägliche Fesselung an das jeweilige Zudringlich-Zufällige etwas zu lockern — und schon haben wir das staunende Erfahren eigens in der Erfahrung. | Zwar nur ganz ungefähr — dieses Ungefähre, dieses im Ganzen ist aber in sich etwas ganz Bestimmtes und Wesentliches; auch wenn wir jetzt noch so weit entfernt sind, es zu begreifen. —

Worüber Anaximandros spricht in dem angeführten Wort, ist vorläufig erläutert. Wir fragen jetzt: 2.) Was sagt er darüber? über »das Seiende«? »Woher (woraus) aber die Herkunft ist dem Seienden in eben dieses geschieht auch der Schwund nach der Notwendigkeit.«


b) Das Seiende in γένεσις καὶ φθορά


a) Dem Seienden ist Herkunft und Schwund. α) γένεσις überhaupt β) ἡ γένεσις ἡ φθορά. Man ist schnell bei der Hand für γένεσις und φθορά zu sagen: »Entstehen und Vergehen« und so kurz: Veränderlichkeit, Anderswerden, überhaupt Werden. Und das ist verständlicher und in Worten nicht gekünstelt. Aber für uns ist die Frage, ob durch die erstgenannte Übersetzung nicht unversehens etwas Ungriechisches in den Gehalt des ganzen Satzes kommt. Dem ist in der Tat so: Herkommen meint herkommend Ankommen, ankommend Auftauchen, sich Zeigen, Erscheinen5; und entsprechend Schwund: Verschwinden, Abziehen, Weggehen. Doch welcher Unterschied besteht da zu Entstehen und Vergehen? Wir sind gewohnt, bei Entstehen an Entwicklung zu denken, an das Nacheinander von Vorgängen, bei denen die Vorigen jeweils die Ursache der Folgenden sind, an Ineinander-, Über-, und Fortgehen, an Richtung, an von ... , zu ... , aus ... , in ... ; und entsprechend bei Vergehen an Vernichtung und Verfall. Für den Griechen ist nicht entscheidend das ursachenmäßige Nacheinander,


5 Herauf — hervor. γένεσις qua »Genesis« erst spät; bei Aristoteles erst da, wo κίνησις begriffen; und selbst da noch primär aus ποίησις, d. h. Her-stellen — εἶδος.