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Das »Lehrgedicht« des Parmenides

die er aber doch zugleich mit der Wesensbestimmung des Seins (Wesenssatz des Parmenides) die entscheidende Vorarbeit leistet, indem er überhaupt erst einmal einfach aufweist, daß es so etwas wie Nichtsein in der Gestalt des Scheins gibt. Freilich von seinem Begriff des Seins aus muß er sagen: der Schein ist nicht. Schein aber doch nicht gleichzusetzen mit dem puren Nichts. So erhebt sich die Frage, was und wie er ist, d. h. er ist das Scheinen. Dieser Frage geht aber voran: was ist der Schein? Wie sieht er überhaupt aus? In diese Frage und Aufgabe geht der Gang des ersten Weges über 8, 51 ff. und die übrigen Fragmente.



k) Die Zusammengehörigkeit von νοεῖν und λέγειν


Noch aber ist der erste Weg nicht ganz ausgegangen. Es wurde schon gesagt, der Einschub des Fragments 2 nicht nur wichtig für das Voranstehende, sondern auch das folgende 8, 34ff.

8, 34-37. Dieser Abschnitt bringt als Beschluß des voranstehenden Beweisgangs der σήματα einen nochmaligen Rückgang in den Ursatz, so freilich, daß dessen Gehalt jetzt bestimmter dargestellt wird. Nicht einfach Zusammengehörigkeit von Vernehmen und Sein. Vielmehr jetzt das Sein ausdrücklich gefaßt als ουνεκέν ἐστι νόημα, als Worumwillen des Vernehmens. Dieses ist, was es ist, im Dienst und Auftrag des Seins. Das Vernehmen vereint, damit darin das Sein gebildet und entworfen werde. Und dieses so Entworfene zugleich jetzt als das ἐν ᾧ, worin das Vernehmen sich hinein-spricht. Wir wissen, νοεῖν gehört zusammen mit λέγειν. Das Vernehmen ist für sich als etwas Vorhandenes gar nicht aufzufinden. Wir stoßen darauf, sofern wir zuvor auf das Sein treffen. In ihm als dem Einheitlichen und der Anwesenheit finden wir je das der Einheitlichkeit Zugetragene Einigen und Sammeln, d. h. λέγειν, und in der Anwesenheit finden wir den notwendigen Bezug auf Gegenwart. Alle Sprache ist nur im Sein sagbar. Daher: wo kein Sein verstehbar, da auch keine Sprache und umgekehrt: wo keine Sprache, da auch kein Seinsverständnis. Daher Tier — Pflanze — obzwar sie beide nie zu existieren vermögen.


Martin Heidegger (GA 35) Der Anfang der abendländischen Philosophie