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Die Prägung der überlieferten Metaphysik

§ 6. Der Begriff der Metaphysik und seine Wandlung bis zur klassischen Metaphysik der Neuzeit

a) Die Entstehung des Metaphysikbegriffs als buchtechnischer Ordnungstitel für bestimmte Aristotelische Schriften (μετά τά φυσικά)


Wir müssen uns zunächst über dieses Wort »Metaphysik« und seinen Begriff verständigen. Zwar ist es im allgemeinen bekannt; jedenfalls ist in jedem ordentlichen Handbuch der Geschichte der Philosophie nachzulesen, wie der Ausdruck »Metaphysik« entstand. Doch gilt das den meisten als belangloses Kuriosum, während in Wahrheit die Geschichte dieses Wortes Aufschluß gibt über entscheidende Abschnitte der abendländischen Geistesgeschichte.

Es ist aus zwei griechischen Worten zusammengesetzt: der Präposition μετά und φύσις (φυσικός, φυσικά, der Nominalisierung von φυσικός, τά φυσικά), μετά mit, inmitten (μέσος, zwischen), hinter dem einen nach, vor dem anderen her; μετά τά: post; in der Aufeinanderfolge örtlich, zeitlich nach einem anderen. Wonach? τά φυσικά; φύσις, Natur, überhaupt das vorhandene, waltende Seiende überhaupt, was ohne menschliches Zutun aufkommt und schwindet. Grundcharakter der Bewegung; unlebendige Körper, Sterne, Himmel, zugleich dazu das Lebendige, Entstehen und Vergehen, Bewegung der Tiere — all das sind Physika. »Physik« zugleich so bezeichnet: επιστήμη φυσική, weiter und grundsätzlicher als heute, φύσις: was von sich aus sich macht — θέσις: menschliche Setzung und Einrichtung.

So im Ausgang des 4. vorchristlichen Jahrhunderts, als die griechische Philosophie den Höhepunkt überschritt, zur Zeit des Aristoteles. Dessen Lehrschriften und Vorlesungen waren bis in das erste vorchristliche Jahrhundert verschollen. Als man sie wiederfand und zu ordnen begann, hoben sich da unter anderen leicht unterscheidbar ab diejenigen über τά φυσικά. Zugleich aber fanden sich Abhandlungen, die zwar damit verwandt schienen, sich aber doch nicht damit deckten, ja nach Bemerkungen des Aristoteles selbst