wir sind der Überzeugung, daß die Sprache immer die Auslegung des Daseins eines Volkes ist, daß die Wortprägungen ganz wesentlichen Grunderfahrungen ihren Ausdruck geben.
Was bedeutet für die Griechen ψεῦδος? Wir wollen es uns an unserem Fremdwort Pseudonym verdeutlichen. Es ist zusammengesetzt aus ψευδός (falsch) und ὄνομα (Name). Pseudonym heißt aber nicht: falscher Name. Was ist, was heißt das Ding? Wenn wir etwa zur Kreide Schwamm sagten, dann wandten wir eine falsche Bezeichnung an. Pseudonym ist nicht: falscher Name, sondern eine Bezeichnung, hinter der sich der Verfasser versteckt, ein Deckname, der ihn verdeckt. Nicht, daß der Name nicht dem Verfasser entspricht. Es wird dem Leser das Werk unter einem Titel zugekehrt, hinter dem ein anderer steht, als der Name auf dem Buch besagt. Der Tatbestand des Verfassers ist verdeckt, verkehrt.
Das ist die Grundbedeutung des griechischen ψεῦδος: die Sache so hindrehen, daß man nicht sieht, wie sie eigentlich ist. ψεῦδος ist das, was verdreht und verkehrt.
Die Griechen haben nun für ψεῦδος auch einen Gegenbegriff und ein Gegenwort. Es kommt zum Beispiel bei Demokrit vor: ἀτρεκής (τρέπω, wenden); dasjenige, was ungewandt, unverdreht ist. Der Gegenbegriff ψεῦδος heißt nicht einfach: das Falsche, sondern: das Verkehrte. Das entscheidende Moment ist die Verdrehung.
Diese Bedeutung des ψεῦδος unterliegt in der Bedeutungsgeschichte einer weiteren Entwicklung, ψεῦδος heißt: das den Menschen und ihrem Wahrnehmen Zugekehrte, so zwar, daß nicht nur das, was dahinter steckt, verdeckt ist, sondern auch so, daß der Anschein besteht, es stecke etwas dahinter, wo doch im Grunde nichts dahinter ist.
Damit haben wir die Bedeutung nicht nur des Verdrehten, sondern auch die Bedeutung des Nichtigen, dessen, hinter dem das Nichts steckt. Das ist die Bedeutung, die auch hinter der medialen Bildung (ψεύδεσθαι) herauskommt: etwas zu Nichte-machen, als nichtig erklären.