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§16. Die Bestimmung des Wesens der Geschichte gründet im Geschichtscharakter des jeweiligen Zeitalters.

Das Wesen der Wahrheit —

bestimmt durch das geschichtliche Dasein


Wir verzichten darauf, einen Bericht über die bisher oder heute geltende Auffassung der Geschichte zu geben oder sie zu kritisieren. Wir stellen vielmehr an den Beginn unserer Erörterungen den Satz: Die Bestimmung des Wesens der Geschichte gründet in dem jeweiligen Geschichtscharakter des Zeitalters, aus dem heraus diese Bestimmung vollzogen wird.

Es gibt keine schlechthin verbindliche Umgrenzung des Wesens der Geschichte an sich. Es hat keinen Sinn, die mittelalterliche Geschichtsauffassung auf unser Zeitalter zu übertragen; ebenso sinnlos ist es, jene Geschichtsauffassung als falsch zu bezeichnen. — Aber dann gibt es ja keine absolute Wahrheit! Allerdings nicht. Es ist an der Zeit, daß wir uns das Befremden darüber abgewöhnen und endlich damit Ernst machen, daß wir vorerst noch Menschen sind und keine Götter.

Daraus aber, daß es keine absolute Wahrheit für uns gibt, dürfen wir nicht folgern, daß es überhaupt keine Wahrheit für uns gibt. Unter Wahrheit verstehen wir die Offenbarkeit von Seiendem, welche Offenbarkeit uns in das Sein des Seienden einfügt und bindet — jeweils nach der Seinsart des Seienden, das hier in die Offenbarkeit eingeht. Was für uns wahr ist in diesem Sinne von Wahrheit, das genügt vollauf für ein Menschenleben.

Es bedarf keiner Allerweltswahrheit, die für jedermann wahr und deshalb für keinen verbindlich ist. Eine Wahrheit wird dadurch nicht weniger Wahrheit, daß sie nicht von jedermann zugeeignet werden kann. Aber auch wenn jedermann einer Wahrheit zustimmen kann, braucht diese Wahrheit nicht wahr zu sein; und umgekehrt kann ein einzelner in der Wahrheit stehen, in der andere nicht stehen, weil sie dafür nicht reif sind. Diese Wahrheit wird dadurch nicht etwa falsch.

Wie steht es aber nun mit folgender Überlegung: Wenn es für

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