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Die Frage nach dem Wesen der Geschichte

uns schon keine absolute Wahrheit gibt, so muß doch wenigstens der Satz »Es gibt keine absolute Wahrheit« absolut wahr sein. Damit gibt es doch absolute Wahrheit, und der Satz »Es gibt keine absolute Wahrheit« ist durchbrochen.

Diese Schlußfolgerung ist ein formales Kunststückchen. Aus dem Satz »Es gibt keine absolute Wahrheit« folgt aber nicht, daß der Satz selbst absolut wahr sei; er ist nur für uns wahr. Es gilt mit der Erkenntnis Ernst zu machen, daß wir zwar immer in der Wahrheit gewisser Bezirke und Stufen stehen, daß aber gerade eben mit dieser Offenbarkeit des Seienden eine Verborgenheit der Dinge gesetzt ist und geschieht, ja sogar eine Verstellung und Verdrängung, und daß diese Unwahrheit nicht harmlos wie in einem Verschlag neben der Wahrheit steht, sondern daß diese Unwahrheit unser Stehen in der Wahrheit ständig beherrscht.

Diese Wahrheit über die Wahrheit ist auch nur für uns wahr. Der Zusatz »wahr für uns« hat aber gar keinen Sinn, da ja der Bezug auf uns zur Wahrheit gehört.

Mit dem hier kurz Angedeuteten ist gesagt, wie es mit der Wahrheit unseres Fragens, d. h. aber mit der Wahrheit der Philosophie, steht. Es wird häufig die Meinung vertreten, die Philosophie müsse als die höchste Wissenschaft standpunktsfrei sein. Man hat dies zum Prinzip erheben wollen. Aber einen Standpunkt muß es geben, ohne Standpunkt kann man nicht stehen. Es handelt sich nicht um Standpunktsfreiheit, sondern darum, daß ein Standpunkt erkämpft wird. Es handelt sich um eine Standpunktsentscheidung. Dies ist nicht Sache einer Philosophie, die in den Wolken schwebt, sondern ist Sache des philosophierenden Menschen, bestimmt durch sein geschichtliches Dasein.


Martin Heidegger (GA 38) Logik als die Frage nach dem Wesen der Sprache