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§30. Logik als noch unbegriffener Auftrag

Handelns, der gebändigte Rausch des geschaffenen Werkes und die kalte Kühnheit des wissenden Fragens, die gefestigte Nüchternheit der Arbeit und die Verschwiegenheit des Herzens — all das ist Sprache, gewinnt und verliert das Sein nur im Geschehnis der Sprache. Die Sprache ist das Walten der weltbildenden und bewahrenden Mitte des geschichtlichen Daseins des Volkes. Nur wo Zeitlichkeit sich zeitigt, geschieht Sprache; nur wo Sprache geschieht, zeitigt sich Zeitlichkeit.



§ 30. Logik als noch unbegriffener Auftragdes menschlich-geschichtlichen Daseins:
die Sorge um das Walten der Welt im Geschehnis der Sprache


Warum aber fragen wir nach dem Wesen der Sprache? Weil unser Dasein die Sorge ist — die Sorge der Bestimmung, ihrer Erwekkung, Übernahme und Bewahrung; weil die Sorge als Sorge der Freiheit die Sorge des Wissens und Wissenkönnens um das Wesen alles Seienden ist; weil uns das Wissen weder als die flüchtige Kenntnis von bloßen Tatsachen noch als das über alle Dinge daherfahrende Gerede gelten darf; weil Wissen nur gegründet und geprägt, nur überliefert und erweckt werden kann durch das verantwortliche Wort, d. h. durch die gewachsene Gediegenheit der schaffenden Sprache in der geschichtlichen Arbeit.

Und warum nennen wir dieses Fragen nach dem Wesen der Sprache »Logik«? Weil die Logik vom λόγος handelt und »λόγος« die Rede, d. h. die Sprache, bedeutet. Weil eben durch die sogenannte Logik das Wesen der Sprache vorschnell verflacht und veräußerlicht und mißdeutet wurde, deshalb ist Logik ein noch unbegriffener Auftrag des menschlich-geschichtlichen Daseins. Weil diese bisherige Logik als Lehre von den Denkakten beanspruchte, als oberste und maßgebende Regel aller Bestimmung des Seins zu gelten, deshalb muß dieser Anspruch ursprünglicher gefaßt und rücksichtslos erneuert werden aus den ursprünglichen Begriffen des Wesens der Sprache.


Martin Heidegger (GA 38) Logik als die Frage nach dem Wesen der Sprache