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§ 6. Bestimmung des >Wir< im Horizont der Frage nach der Zeit

— das fortgesetzte Weitergehen der Zeit, unaufhörliches Undsoweiter, nie ein letztes Jetzt; 2. als aeternitas — das nunc stans, das stehende Jetzt, immerwährende Gegenwart. Beide Begriffe entspringen dem antiken bzw. christlichen Denken und finden sich dort wieder, wo seitdem die Ewigkeit am reichsten und tiefsten gedacht wurde, in der Philosophie Hegels. Was dann noch nachfolgt, ist schlechte Nachahmimg. Aber diese beiden Ewigkeitsbegriffe entspringen auch einer bestimmten Erfahrung der Zeit, nämlich der Zeit als des reinen Vergehens des Jetzt im Nacheinander. Erstens ist Zeit das Nie-Aufhören des Nacheinander des Jetzt. Zweitens ist sie das vorgängige Stehenbleiben eines umfassenden Jetzt. Jener Zeitbegriff aber faßt weder das Wesen der Zeit, noch trifft der von ihm ganz abhängige Ewigkeitsbegriff das Wesen der Ewigkeit, soweit wir das überhaupt zu denken vermögen. Vollends sind diese Vorstellungen unzureichend, um Hölderlins dichterische Erfahrung der Zeit denkerisch zu bewältigen.



e) Die wesenhaft lange Zeit


Für Hölderlin sind die Götter »nichts als Zeit«, und >das Himmlische ist schnell vergänglich<2. In diese Zeit der Götter ragen hinein die Gipfel der Zeit als die Zeiten der Völker. Diese Zeiten haben ihre eigenen Maße.

... Lang ist
Die Zeit, es ereignet sich aber
Das Wahre.

(Mnemosyne, IV, 225, V. 17 ff.)


Welche Zeit ist lang? »Die Zeit« des Alltags und die Zeit auf den Gipfeln, aber je in verschiedener Weise. Die alltägliche Zeit ist »Lang« in der Langeweile, wo die Zeit uns hinhält und dabei leer läßt, wo wir hastig und wahllos solches beizerren,


2 Versöhnender, der du nimmergeglaubt.., IV, 163 f., V. 49 f.


Martin Heidegger (GA 39) Hölderlins Hymnen »Germanien« und »Der Rhein«