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§ 7. Der Sprachcharakter der Dichtung

öfters hab ich Gesang versucht, aber sie hörten dich nicht. Denn so wollte die heiige Natur du sangest du für sie in deiner Jugend nicht singend

Du sprachest zur Gottheit, aber diss habt ihr all vergessen, dass immer die Erstlinge Sterblichen nicht, dass sie den Göttern gehören. Gemeiner muss, alltäglicher muss die Frucht erst werden, dann wird sie den Sterblichen eigen.«

(Bruchstück 3, IV, 237 f.)


Dieser Text ist weniger durchsichtig. Das »Aber« deutet auf das Schwere und Geheimnisvolle und Fragwürdige der Sprache. »Im Gewitter« nennt das Verhältnis zum Gott und seiner Sprache. Wesentlich ist für unseren Zusammenhang das letzte Stück und hier die Unterscheidung zwischen den »Erstlingen« der Sprache, d. h. dem schöpferischen, stiftenden Sagen des Dichters, und dem »Gemeiner«- und Alltäglicherwerden des Gesagten als einer Unentrinnbarkeit im Bereich des menschlichen Daseins. Die höchste Beglückung des ersten stiftenden Sagens ist zugleich der tiefste Schmerz des Verlustes; denn Erstlinge werden geopfert. Die ursprünglich das Seyn begründende Sprache steht im Verhängnis des notwendigen Verfalls, der Verflachung in das abgegriffene Gerede, dem sich nichts zu entziehen vermag, eben weil es den Schein erweckt, als sei in seiner Art des Sagens, wenn es nur ein Sagen sei, das Seiende getroffen und gefaßt. Ein wesentliches Wort sagen, heißt in sich, dieses Wort auch schon ausliefern in den Bereich der Mißdeutung, des Mißbrauchs und der Täuschimg, in die Gefährlichkeit der unmittelbarsten gegenteiligen Auswirkung seiner Bestimmung. Jegliches, das Reinste und Verborgenste wie das Gemeinste und Platteste, kann abgefangen werden in eine gangbare Redensart.

Die Gefährlichkeit der Sprache ist so eine wesentlich gedoppelte, in sich wieder grundverschieden: einmal die Gefahr der höchsten Nähe zu den Göttern und damit zur übermäßigen Vernichtung durch sie, zugleich aber die Gefahr der


Martin Heidegger (GA 39) Hölderlins Hymnen »Germanien« und »Der Rhein«