110
Grundstimmung der Dichtung und Geschichtlichkeit des Daseins
Denn es hasset
Der sinnende Gott
Unzeitiges Wachstum.

(Aus dem Motivkreis der Titanen, Schluß, IV, 218)

Der Beginn dieses Gedichtes lautet (IV, 215):

Wenn aber die Himmlischen haben
Gebaut, still ist es
Auf Erden, und Wohlgestalt stehn
Die betroffenen Berge. Gezeichnet
Sind ihre Stirnen.

e) Die Entscheidimg für die eigentliche Zeit der Dichtung als Entscheidung für das Einrücken in die Grundstimmung


Aber solche eigentliche Zeit ist schwer zu erkennen und das Wissen um sie durch das allzubekannte Tägliche und Ewiggestrige leicht zerstörbar. Alle Massen von Geschichtskenntnissen helfen da nicht. Auch alle Auswechslung der bisher gewußten und gemeinten geschichtlichen Stoffe durch andere bleibt nutzlos, wenn nicht die Geschichtlichkeit des Daseins Herr wird über die bloße Alltäglichkeit. Denn wir können unsere eigentliche Zeit, unsere wahre Geschichte nie haben, solange wir nicht geschichtlich sind, und wir sind es nicht, solange wir unvermögend bleiben, die Macht der Zeitlichkeit von Grund aus so zu erfahren, daß wir in ihrem Fortriß mitten innestehen, und das heißt zugleich, solange wir an einem Bild der Ewigkeit haften bleiben, das nur die ständige Gegenwart ist und als solche bequem zu denken; während Ewigkeit alt und gewesen wird — »alte Ewigkeit verborgener und verborgener wird« (Bruchstück 4, O Mutter Erde! IV, 239).

So ist schnellvergänglich alles Himmlische.

(Versöhnender, der du ..., Anhang, IV, 341, V. 5)


Martin Heidegger (GA 39) Hölderlins Hymnen »Germanien« und »Der Rhein«