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§ 11. Zusammenfassende Zwischenbetrachtung

zu Beginn erwähnt, daß das »Verfahren im allgemeinem sei, das Dichterische denkerisch zu fassen, ohne dabei ein philosophisches System als Maßstab anzulegen oder gar aus der Dichtung zusammenzusuchen. Betont wurde ferner, das »Vorgehen im besonderem vermeide den bloßen Gang der fortlaufenden Erzählung von Leben und Werken des Dichters, setze vielmehr mit dem ein, was in Wahrheit zuletzt genannt werden dürfe — beim »Vaterland«, d.h. der innersten und weitesten geschichtlichen Bestimmung des Volkes. Das Ziel ist damit sogleich am höchsten gesteckt. Was wir unmittelbar erarbeiten wollen, ist zwar darauf gerade bezogen, jedoch weit vorläufiger.

Wir wollen erst einmal in den Machtbereich dieser Dichtung Eingang finden, also nicht vielerlei von den Gedichten kennenlernen, um daraus ein Weltbild zusammenzubauen. Innerhalb des Machtbereichs der Dichtung müssen wir zuvor den Ort bestimmen, aus dem her und auf den zu die Macht der Dichtung sich eröffnet und mächtig bleibt. Dieser metaphysische Ort der Dichtung ist umgrenzt durch das, was wir als die Grundstimmung heraushoben: die heilig trauernde, aber bereite Bedrängnis.


a) Die vier Wesensstücke der Grundstimmung


Soweit bisher über das allgemeine Wesen dessen, was wir ›Grundstimmung‹ nennen, etwas gesagt werden konnte, geschah das in der Weise einer Abwehr: 1. Stimmung, und zumal Grundstimmung, sei kein bloßes Gefühl, keine Begleiterscheinung des seelischen Erlebens. 2. Stimmung lasse sich überhaupt nicht aus der Blickrichtung der überkommenen Lehre von der Seele und vom Geist begreifen, vielmehr zwinge gerade der Blick ins Wesen der Grundstimmung dazu, die geläufige Vorstellung von der Seinsart des Menschen aufzugeben und ursprünglicher zu begründen. Warum das so ist und wie der Begriff des menschlichen Daseins sich von hier


Martin Heidegger (GA 39) Hölderlins Hymnen »Germanien« und »Der Rhein«