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Die Halbgötter als vermittelnde Mitte von Göttern und Menschen

in solcher Erfahrung sich verwandeln und in solcher Wandlung dieses Sein zum Austrag bringen. Indem sie nach solcher Weise die sind, die sie sind — Halbgötter —, ist ihr Sein in sich die ahnende Ausrichtung auf die Götter selbst, zugleich aber, in der Richtung auf den Menschen, sind sie der Aufruhr des menschlichen Seyns, durch den und in dem dieses erst in seiner Leidenschaftlichkeit erweckt und in maßgebende Möglichkeiten gestellt wird. Was wir jetzt so vorgreifend-hinweisend über das Schicksal als ausgezeichnetes Seyn gesagt haben, soll genügen, um, ungefähr mindestens, den letzten Teil eines Bruchstücks später Dichtung zu verstehen. Bruchstück 14, V. 18—27 (IV, 247 f.):

Denn über die Erde wandeln
Gewaltige Mächte,
20 Und es ergreiffet ihr Schiksaal
Den der es leidet und zusieht,
Und ergreifft den Völkern das Herz.
Denn alles fassen muss
Ein Halbgott oder
25 Ein Mensch, dem Leiden nach,
Indem er höret, allein, oder selber
Verwandelt wird, fernahnend die Rosse des Herrn,

Unsere dritte Frage, in welcher Hinsicht der Dichter die Halbgötter denkt, ist damit im Rahmen dieser vorbereitenden Betrachtung hinreichend beantwortet. Freilich haben wir so noch keinen Begriff von Schicksal, und einen solchen will und kann die Dichtung auch nicht geben. Aber das Gesagte diente dazu, überhaupt den Umkreis des Seyns ahnen zu lassen, in bezug auf den dieses Wort eigentlich nennende Kraft hat.

Die Erörterung der drei Fragen: 1. in welchem Umkreis bewegt sich überhaupt das Denken von Halbgöttern? 2. wodurch wird dieses Denken genötigt? 3. in welcher Hinsicht sind die Halbgötter gedacht? fassen wir zusammen in die vierte Frage: Welche Grundstimmung waltet in diesem Denken?


Martin Heidegger (GA 39) Hölderlins Hymnen »Germanien« und »Der Rhein«