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Die Grundfrage der Metaphysik

Wenn wir daher die Frage: »Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?« in ihrem Fragesinn recht vollziehen, müssen wir die Hervorhebung von jeglichem besonderen, einzelnen Seienden unterlassen, auch den Hinweis auf den Menschen. Denn was ist dieses Seiende schon! Stellen wir uns die Erde innerhalb der dunklen Maßlosigkeit des Raumes im All vor. Vergleichsweise ist sie ein winziges Sandkorn, bis zum nächsten seiner Größe erstreckt sich ein Kilometer und mehr Leere; auf der Oberfläche dieses winzigen Sandkorns lebt ein durcheinander kriechender, betäubter Haufe angeblich kluger Tiere, die für einen Augenblick das Erkennen erfunden haben [vgl. Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne. 1873 Nachlaß]. Und was ist die zeitliche Erstreckung eines Menschenlebens in der Bahn der Zeit von Jahrmillionen? Kaum ein Ruck des Sekundenzeigers, ein Atemzug. Innerhalb des Seienden im Ganzen ist kein Rechtsgrund zu finden für die Hervorhebung gerade des Seienden, das man Mensch nennt und zu dem wir selbst zufällig gehören.

Aber insofern das Seiende im Ganzen jemals in die genannte Frage gerückt wird, tritt zu ihm das Fragen und es zu diesem Fragen doch in eine ausgezeichnete, weil einzigartige Beziehung. Denn durch dieses Fragen wird das Seiende im Ganzen allererst als ein solches und in der Richtung auf seinen möglichen Grund eröffnet und im Fragen offengehalten. Das Fragen dieser Frage ist in bezug auf das Seiende als solches im Ganzen nicht irgendein beliebiges Vorkommnis innerhalb des Seienden, wie z. B. das Fallen von Regentropfen. Die Warumfrage tritt dem Seienden im Ganzen gleichsam gegenüber, tritt [4] aus ihm heraus, wenngleich nie völlig. Aber gerade dadurch gewinnt das Fragen eine Auszeichnung. Indem es dem Seienden im Ganzen gegenübertritt, sich ihm aber doch nicht entwindet, schlägt das, was in dieser Frage gefragt wird, auf das Fragen selbst zurück. Warum das Warum? Worin gründet die Warumfrage selbst, die das Seiende im Ganzen in seinen Grund zu stellen sich anmaßt? Ist auch dieses Warum noch ein


Martin Heidegger (GA 40) Einführung in die Metaphysik