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Beschränkung des Seins

Diese wenigen Worte stehen da wie griechische Standbilder der Frühzeit. Was wir vom Lehrgedicht des Parmenides noch besitzen, geht in ein dünnes Heft zusammen, das freilich ganze Bibliotheken philosophischer Literatur in der vermeintlichen Notwendigkeit ihrer Existenz widerlegt. Wer die Maßstäbe solchen denkenden Sagens kennt, muß als Heutiger alle Lust verlieren, Bücher zu schreiben.

Dies aus dem Sein Gesagte sind σήματα, nicht Zeichen des Seins, nicht Prädikate, sondern solches, was im Hinsehen auf das Sein aus ihm her es selbst zeigt. Bei solchem Hinblick auf das Sein müssen wir nämlich alles Entstehen und Vergehen usf. von ihm wegsehen, fort-sehen im aktiven Sinne: sehend weg-halten, ausstoßen. Was durch à- und ούδέ weggehalten wird, ist dem Sein nicht gemäß. Sein Maß ist ein anderes.

Wir entnehmen aus all dem: Sein zeigt sich diesem Sagen als die eigene in sich gesammelte Gediegenheit des Ständigen, unberührt von Unrast und Wechsel. Man pflegt auch heute noch in der Darstellung des Anfangs der abendländischen Philosophie dieser Lehre des Parmenides die des Heraklit entgegenzusetzen. Von diesem soll ein oft angeführtes Wort stammen: πάντα ῥεῖ, alles ist im Fluß. Darnach gibt es kein Sein. Alles »ist« Werden. Man findet das Auftreten solcher Gegensätze, hie Sein, hie Werden, in der Ordnung, weil damit schon vom Anfang der Philosophie her belegt werden kann, was durch ihre ganze Geschichte hindurchgehen soll, daß nämlich dort, wo der eine Philosoph A sagt, der andere B sagt, sofern dieser jedoch A sagt, jener dann B sagt. Wenn freilich dagegen versichert wird, in der Geschichte der Philosophie sagten im Grunde alle Denker dasselbe, so ist das wiederum eine befremdliche Zumutung an den Alltagsverstand. Wozu dann noch die vielgestaltige und verwickelte Geschichte der abendländischen Philosophie, wenn alle doch dasselbe sagen? Dann genügt eine Philosophie. Alles ist immer schon gesagt. Aber dieses »dasselbe« hat allerdings den unausschöpfbaren Reichtum dessen zur inneren Wahrheit, was jeden Tag so ist, als sei es sein erster Tag.