Warum aber gerade Zeit? Weil die im Anfang der abendländischen Philosophie die Seinseröffnung leitende Blickbahn die Zeit ist, aber so, daß diese Blickbahn als solche noch verborgen blieb und bleiben mußte. Wenn schließlich zum Grundbegriff des Seins die οὐσία wird und dieses bedeutet: ständige Anwesenheit, was liegt dann dem Wesen von Beständigkeit und dem Wesen von Anwesenheit unenthüllt anderes zugrunde als Zeit? Aber diese »Zeit« ist in ihrem Wesen noch unentfaltet und (auf dem Boden, im Gesichtskreis der »Physik«) auch unentfaltbar. Denn sobald am Ende der griechischen Philosophie bei Aristoteles die Besinnung auf das Wesen der Zeit einsetzt, muß die Zeit selbst als ein irgendwie Anwesendes, οὐσία τις, genommen werden. Dies drückt sich darin aus, daß die Zeit vom »Jetzt«, dem jeweils und einzig Gegenwärtigen, her begriffen wird. Vergangenheit ist das »nicht mehr-Jetzt«, Zukunft ist das »noch nicht-Jetzt«. Das Sein im Sinne von Vorhandenheit (Anwesenheit) wird die Blickbahn für die Bestimmung der Zeit. Nicht aber wird die Zeit zur eigens eingeschlagenen Blickbahn für die Auslegung des Seins.
»Sein und Zeit« meint bei solcher Besinnung nicht ein Buch, sondern das Aufgegebene. Das eigentlich Aufgegebene ist Jenes, was wir nicht wissen und das wir, sofern wir es echt wissen, nämlich als Aufgegebenes, immer nur fragend wissen.
Fragen können heißt: warten können, sogar ein Leben lang. Ein Zeitalter jedoch, dem nur das wirklich ist, was schnell geht und sich mit beiden Händen greifen läßt, hält das Fragen für »wirklichkeitsfremd«, für solches, was sich nicht bezahlt macht. Aber nicht die Zahl ist das Wesentliche, sondern die rechte Zeit, d. h. der rechte Augenblick und das rechte Ausdauern.
»Denn es hasset
Der sinnende Gott
Unzeitiges Wachstum. «
Hölderlin, Aus dem Motivkreis der »Titanen«
(IV, 218)