die zweite und in gewissem Betracht wesentlichste überhaupt nicht erörtert wird.
Wenn wir die herkömmliche Auffassung des Infinitivs bedenken, dann scheint es ja auch vollkommen in Ordnung zu sein, daß sich der Infinitiv »seyn« als nachträgliche Abstraktion hinsichtlich seiner Bedeutung aus dem »Konkreten«, am unmittelbarsten und am häufigsten zugänglichen »ist« bestimmt, nämlich aus dem »ist« im Sinne von: die Erde ist (existiert), und dem »ist« im Sinne von: »die Erde ist ein Planet« (Copula) : das Sein (Existieren) als Bestimmung des Seienden im Sinne des Vorhandenen und das Seyn als Bestimmungsmoment der Aussage. Man sieht leicht, daß beide aufeinander bezogen sind, sofern die Aussage über Seiendes (Vorhandenes) aussagt. Dieses Verhältnis von Aussage (Urteil) zum Gegenstand der Aussage ist die Beziehung der Übereinstimmung, d. h. der Wahrheit. Das beides führt bei Aristoteles schon dahin, daß das »ist« noch eine weitere Bedeutung empfängt. Sie tritt uns entgegen, wenn wir betonterweise sagen: die Erde ist ein Planet, d. h. in der Tat: in Wahrheit, es ist wahr, daß die Erde ein Planet ist. Seyn hat hier die Bedeutung von Wahrsein.
Je nach der Auffassung des Wesens der Wahrheit und damit je nach der Deutung des Satzes (Aussage — Urteil) ergibt sich eine verschiedene Auslegung des »ist« als Copula und des »ist« als »existieren« und »wahrsein«. All das wirkt sich wieder aus auf die Bestimmung des Wesens von Seyn überhaupt. So ist z. B. die Auffassimg des »ist« als Copula bei Aristoteles, Leibniz, Hobbes, Kant und Hegel und Schopenhauer und Nietzsche ganz verschieden. Trotzdem bewegt sich diese Verschiedenheit in einem ganz bestimmten Umkreis von Möglichkeiten, welcher Kreis im voraus gezogen ist durch die im Verborgenen vorausherrschende, gar nicht als solche weiter beachtete und gar erörterte griechische Auffassung des Seyns.
So lehrreich es wäre, auf diese Zusammenhänge näher einzugehen, für uns ist jetzt nur das Eine wesentlich: zu sehen, wie sich die Bestimmung des Seyns vollzieht im Ausgang vom »ist«.