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Freiheit und System

gentliche und umfassende Gegenstand, sondern sie ist zuvor und im Grunde und zuletzt der Zustand der Philosophie, der offene Gegensatz, in dem sie steht und den sie immer wieder zustand bringt. Die Philosophie ist als ein höchstes Wollen des Geistes in sich ein Übersichhinauswollen, ein Sichstoßen an den Schranken des Seienden, die sie übersteigt, indem sie das Seiende über" fragt durch die Frage nach dem Seyn selbst. Mit der Wahrheit über das Seyn will die Philosophie ins Freie und bleibt doch gebunden in die Notwendigkeit des Seienden. Die Philosophie ist in sich ein Widerstreit zwischen Notwendigkeit und Freiheit. Und sofern zur Philosophie als höchstem Wissen gehört, sich selbst zu wissen, wird sie selbst diesen Widerstreit und damit die Frage des Systems der Freiheit aus sich hervortreiben.

Das Denken des Denkers ist so wenig wie das Dichten des Dichters nur der Ablauf von »Erlebnissen« in einem vereinzelten Menschen, bei welchem Vorgang dann gewisse Ergebnisse (Werke) abfallen; das Denken und Dichten ist, wo es wesentlich ist, ein Weltvorgang, und das wiederum nicht nur in dem Sinne, daß innerhalb der Welt etwas vor sich geht, was für die Welt Bedeutung hat, sondern ein Vorgang, in dem und durch den die Welt selbst in ihren jeweiligen Ursprüngen neu entspringt und als Welt waltet. Die Philosophie kann niemals dadurch gerechtfertigt werden, daß sie einen Bereich des Wißbaren, irgendeinen Bezirk oder gar alle belegt und bearbeitet und davon Wißbares liefert, sondern nur dadurch, daß sie jeweils das Wesen der Wahrheit des Wißbaren und Erschließbaren überhaupt ursprünglicher eröffnet und dem Verhältnis zum Seienden überhaupt neue Bahn und neuen Gesichtskreis gibt. Die Philosophie entspringt, wenn sie entspringt, einem Grundgesetz des Seyns selbst. Dieses will Schelling hier sagen: Wir philosophieren nicht »über« Notwendigkeit und Freiheit, sondern die Philosophie ist das lebendigste» Und«, der einigende Widerstreit zwischen Notwendigkeit und Freiheit. Er »sagt« das nicht nur, sondern er handelt so in der Abhandlung.

3. Und zuletzt weist Schelling darauf hin, daß der Verzicht


Martin Heidegger (GA 42) Schelling Vom Wesen der Menschlichen Freiheit