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§ 24. Die Gestalt des Bösen

§ 24. IV. Die Gestalt des im Menschenerscheinenden Bösen.
Der Wechselbezug zwischen Gut und Böse
(389-394)


Nach all dem jetzt Gesagten muß ein Doppeltes deutlich werden:

1. Die Gestalt des Bösen ist in sieh die Gestalt des Bösen und des Guten und umgekehrt; die scheinbar einseitige Ausrichtung auf die Kennzeichnung des Bösen sieht sich von selbst in die Wesensbezüglichkeit des Bösen zum Guten versetzt. Demzufolge wird die Darstellung des erscheinenden Bösen zugleich die Darstellung des erscheinenden Guten.

2. Die Einheit beider, das »und«, bedeutet keine sittliche, moralische, als sei das jeweils andere nur das Gesollte und Nichtgesollte, sondern: erscheinend, heraustretend ins Seiende als Seiendes ist das Böse im Menschsein zugleich ein Erscheinen des Guten und umgekehrt.

Diese zwei Hauptpunkte des IV. Abschnitts seien in aller Kürze näher erläutert.

Zu 1. Als Wirkliches ist das Böse eine Entschiedenheit der Freiheit, und zwar das Entschiedensein zu jener Einheit von Grund und Existenz, in der der selbstische Grund, die Eigensucht, sich an die Stelle des Allwillens setzt. Die Entschiedenheit zur Herrschaft einer solchen Verkehrung muß aber — wie alles Herrschenwollen — jederzeit sich übersteigen, um sich in der Herrschaft zu erhalten. Im Bösesein ist so der Hunger der Selbstsucht, der in der Gier, alles zu sein, immer mehr alle Bande löst und ins Nichtige zerfällt. Eine solche Herrschaft der Bosheit ist nichts Negatives, kein Unvermögen und bloßes Fehlgehen; daher erweckt sie auch nicht nur die Stimmung des bloßen Mißfallens und des Bedauerns, sondern kraft ihrer freilich verkehrten Größe erfüllt sie mit Schrecken. Nur Geistiges ist schrecklich. Aber noch ruht auch in dieser Selbstsucht als einer Verkehrung das darin Verkehrte: die Sehnsucht,.sofern sie im Einklang mit der Existenz geblieben; sie ist in einer fernen Erinnerung da


Martin Heidegger (GA 42) Schelling Vom Wesen der Menschlichen Freiheit