FÜNFTES KAPITEL


Die Not und Notwendigkeit des ersten Anfangs und die Not und Notwendigkeit eines anderen Fragens und Anfangens



§ 3S. Die Not des Nicht-aus-und-nicht-ein-Wissens als eine Art des Seyns. Der unbetretene Zeit-Raum des Zwischen


Welche Not waltete in der Notwendigkeit, jenen Anfang desabendländischen Denkens anzufangen? Was verstehen wir hierüberhaupt unter dem Wort »Not«? Not - das klingt nach Elendund Jammer, deutet auf ein Entbehren und Bedürfen undmeint im ganzen doch einen Mangel, ein Fehlen, ein Weg undein »Nicht«. Nicht jedes Nichthafte ist etwas Negatives im Sinne des Abschätzigen. Stille ζ. Β., meinen wir, sei die Abwesenheit und das Weg und Nicht von Lärm und Störung. Aber so deuten wir nur ein Ursprüngliches als Negatives mit Hilfedes Negativen, nämlich Lärm und Störung, ohne dabei das Wesen des Nicht und Nein zu bedenken. Nicht jedes Nichthaftebraucht mangelhaft und vollends gar jammervoll und verdrießlich zu sein. Wir sind gewohnt, Not und Sorge nur aus dem alltäglichen Umkreis des Betrüblichen, des Verdrießlichenund Lästigen zu deuten und d. h. doch unsere Kümmernisseund Kümmerlichkeiten zum Maßstab der Dinge zu machen. Sounausrottbar und deshalb scheinbar allein berechtigt diese Gewöhnung ist, wir müssen dennoch immer neu unserer Sprachedie verborgene Nennkraft für das Wesentliche zurückgewinnenoder erst gar entfalten.

Wenn wir hier von der Not als dem sprechen, was jenes Notwendige höchster Gestalt ernötigt, dann meinen wir nichtElend und Mangel. Aber dennoch denken wir an ein Nicht, ein Nichthaftes. Aber wie wenig wissen wir schon vom Nichthaften und vom Nein, etwa von der Verweigerung und Verzögerung


Martin Heidegger (GA 45) Grundfragen der Philosophie p. 151

GA 45