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Anhang

Nutzzweck von Allem zu machen. Nietzsche würde aber mit gleichem Recht für sich in Anspruch nehmen, den metaphysisch notwendigen »Subjektivismus« zur Vollendung gebracht zu haben — nicht zuletzt dadurch, daß er den »Leib« zum Leitfaden der Weltauslegung bestimmte.

In Nietzsches Gedankengang zum Willen zur Macht vollendet sich aber nicht nur die Metaphysik der Neuzeit, sondern die abendländische Metaphysik im Ganzen. Deren Frage lautet von Anfang an: Was ist das Seiende? Die Griechen bestimmten das Sein des Seienden als Beständigkeit der Anwesung. Diese Bestimmung des Seins bleibt unerschüttert durch die ganze Geschichte der Metaphysik hindurch. Allein, hörten wir nicht immer wieder, für Nietzsche sei das Wesen des Seienden im Ganzen das Chaos? In diesem herrscht das »Werden« und gerade nicht ein »Sein« im Sinne des Festen und Beständigen, das als solches je nur in der vom Willen zur Macht vollzogenen Bestandsicherung gesetzt ist und von der Wirklichkeit des »Werdens« her geschätzt doch das Unwahre und Unwirkliche bleibt. »Das Sein« ist abgedrängt zugunsten des Werdens, dessen Werdeund Bewegungscharakter sich als Wille zur Macht bestimmt. Kann man Nietzsches Denken dann noch eine Vollendung der Metaphysik nennen? Ist es nicht ihre Verleugnung oder gar Überwindung, die sich auf die Formel bringen läßt: weg vom »Sein« und hin zum »Werden«?

Nietzsches Philosophie wird in der Tat mehrfach als die so geartete Überwindung der Metaphysik gedeutet. Wo man dagegen daran festhält, daß Nietzsches Philosophie auch metaphysisch sei, sagt man: Es gab in der Geschichte der Philosophie schon früh, nämlich bei Heraklit, und später unmittelbar vor Nietzsche bei Hegel neben der »Metaphysik des Seins« auch eine »Metaphysik des Werdens«. Das ist grob gesehen richtig, in Wahrheit aber eine Gedankenlosigkeit, die noch die vorige übertrifft. Besinnen wir uns doch, was Wille zur Macht bedeutet: die Ermächtigung des Seienden in die Überhöhung zum eigenen Wesen. Die Ermächtigung bringt die Überhöhung, das


Martin Heidegger (GA 47) Nietzsches Lehre vom Willen zur Macht als Erkenntnis

GA 47