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§ 12. Vereinigung beider Fragerichtungen

stände, von der beginnenden Entwertung bis zur notwendigen Umwertung.


a) Die Zweideutigkeit des Pessimismus als Pessimismus der Stärke und der Schwäche

Wenn die obersten Werte sich entwerten und die Erfahrung entspringt, daß die Welt nicht und nie dem entspricht, was wir im Ideal von ihr halten, wenn gar die Stimmung erwacht, daß alles nur zum Schlechten und Nichtigen geht und diese Welt daher wohl die schlechteste der Welten ist, ein »pessimum«, dann kommt jene Haltung auf, die man in der neuen Zeit gewöhnlich »Pessimismus« nennt, der Glaube, daß in der schlechtesten dieser Welten das Leben nicht wert ist, gelebt und bejaht zu werden (Schopenhauer).

Nietzsche bezeichnet darum auch den »Pessimismus« (Bd. XV, 147, n. 9; 1887) ausdrücklich als »Vorform des Nihilismus«, (vgl. Bd. XV, 165, n. 37: »Entwicklung des Pessimismus zum Nihilismus«). Aber wie dieser selbst, so ist auch der Pessimismus zweideutig.

Es gibt einen Pessimismus aus der Stärke und als Stärke; aber es gibt auch einen Pessimismus aus der Schwäche und als Schwäche. Jener macht sich nichts vor, sieht das Gefährliche, will keine Verschleierungen; er dringt nüchtern zu jenen Kräften und Mächten vor, die eine Gefahr bewirken; er erkennt aber auch jene Bedingungen, die eine Meisterung der Dinge trotz allem sicherstellen. Der Pessimismus der Stärke hat daher seine Auslegung in der »Analytik«. Nietzsche versteht darunter nicht eine Zergliederung und Zerfaserung als Auflösung, sondern das Auseinanderlegen dessen, was »ist«, ein Zeigen der Gründe, warum das Seiende so ist, wie es ist.

Der Pessimismus der Schwäche und des Niedergangs dagegen sieht überall nur das Düstere, bringt für jegliches einen Grund des Mißlingens und dünkt sich als die Haltung, die alles voraus weiß, wie es kommen wird. Der Pessimismus der Schwäche sucht alles zu »verstehen« und historisch zu erklären,


Martin Heidegger (GA 48) Nietzsche, Der europäische Nihilismus

GA 48