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Das Traumhafte und der Übergang

selbst in sich Übergang ist. Das eigene Sagendes Dichters, sein Dichten und Dichtersein muß über einen Steg, ja ist selbst nur ein langsamer Steg. >Nur< — das meint nicht Einschränkung, sondern die Fülle des Einzigen und Einfachen, das nicht anders sein kann als das Seyn selbst, das hier in der Dichtung seine Wahrheit enthüllt, indem es sie verbirgt.

Etwas von diesem Steg erfahren wir, wenn wir im Gedicht »Andenken« den Übergang von den beiden jetzt erläuterten ersten Strophen zur dritten und den ihr folgenden vollziehen.



Wiederholung


Pindars Wort über den Menschen, das sich in einer seiner späten Oden findet, sollte uns den Anstoß geben in der Richtung, nach der wir das Wesen des Traumes und des Traumhaften denken müssen. Wir lassen dabei alle psychologischen und physiologischen Erklärungen beiseite, denn diese tappen notwendig im Dunkeln, solange nicht zuvor der Seinscharakter des Geträumten und Traumhaften geklärt ist. Dies kann aber nur so geschehen, daß wir die Seinsart des Traumhaften gegen das uns bekanntere Seiende abheben. Nach der neuzeitlichen Denkweise nennen wir dieses bekannte Seiende das Wirkliche. An ihm gemessen ist das Traumhafte das bloß Unwirkliche und Nichtige.

Wenn wir jedoch Pindars Wort über den Menschen, daß er als Alltagswesen sei σχιᾶς ὄναρ, eines Schattens ein Traum, griechisch durchdenken, erkennen wir, daß auch das Traumhafte eine eigene Weise der Anwesung, d.h. des Seins ist — nämlich die Anwesung der Abwesung, des Schattens, der seinerseits schon in einer Abwesung des Leuchtenden beruht. Auch das Abwesende, deutlicher das Wegwesende, west her. Also ist das Traumhafte, weil anwesend, nicht rundweg das Unwirkliche gegenüber dem Wirklichen.

Umgekehrt aber gilt, daß auch das Anwesende wegwest und


Martin Heidegger (GA 52) Hölderlins Hymne »Andenken«

GA 52